Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
noch?«
»Das, was an eurer Geschichte fehlt.«
»Und zwar?«
»Die Frau.«
Ein Leuchten durchzog Danas Blick. Nick begriff sofort, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Es gab tatsächlich eineFrau, und der Geistliche kannte sie! Dana starrte an die Decke, als würde er das Für und Wider abwiegen.
»Ja, es ist eine Frau im Spiel«, gab er schließlich zu. »Wie bist du darauf gekommen?«
»Durch die Veränderung in Léonards Verhalten kurz vor seinem Verschwinden. Er traf sich seit vielen Jahren mit einer Prostituierten, eine Beziehung, die ihn vollauf zufriedenstellte. Er hätte nicht aufgehört, sich mit ihr zu treffen, wenn es nicht einen zwingenden Grund dafür gegeben hätte. Und warum war er in Zürich geblieben, trotz der Gefahren dort? Das ergab keinen Sinn. Ich habe viel über diese beiden nicht ins Bild passenden Dinge nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass die einzig stichhaltige Erklärung dafür die Existenz einer dritten Person sein muss. Da Léonard keine Kinder hatte, konnte es sich nur um eine Frau handeln.«
Der Geistliche lächelte.
»Eine Frau anstelle einer Hure?«
»Ganz einfach eine Frau. Ein empfindsames Wesen für einen Mann, der sich niemals anderen mitgeteilt hatte. Ein Mann, der von seinem bisherigen Leben genug hatte.«
»Du bist intelligent. Deine Art, den Dingen auf den Grund zu gehen, beeindruckt mich.«
»Also habe ich recht?«
»Ja, das hast du. Léonard lernte eine Frau kennen, das stimmt. Sie verliebten sich Hals über Kopf ineinander.« Dana seufzte. »Sie war viel jünger als er und mit einem gewalttätigen, dummen Mann verheiratet, der ihr das Leben zur Hölle machte. Du siehst, die Geschichte ist ganz einfach, sie hat sich seit Anbeginn der Menschheit schon Millionen Mal so zugetragen.«
»Demnach sind sie zusammen geflohen.«
»Mit Léonards Geheimnis. Seinem Bericht. Den deine Freunde suchen.«
»Wissen Sie, was drinsteht?«
»Nein, und ich bin sehr froh, dass ich es nicht weiß. Léonardhatte mir erzählt, dass er mit seinem Material etliche Regierungen ruinieren könnte. Hier und in anderen Teilen der Welt. Das ist wohl der Grund, weshalb einige zu allem bereit sind, nur um ihn zu finden.«
»Was für eine Frau ist sie?«
»In jedem Fall eine Frau, die man nicht so leicht vergisst … Ich habe noch nie solche Augen gesehen. Ohne zu zögern, würde ich sie als eine der schönsten und außergewöhnlichsten Frauen bezeichnen, die ich je gesehen habe.«
»Was tat sie in Ihrer Gemeinde?«
»Letztes Jahr hatte sie unsere Religion entdeckt. Außerdem wollte sie sich bald taufen lassen. Léonard und sie waren einander zufällig begegnet. Es war Liebe auf den ersten Blick. Einige Wochen nach ihrer Begegnung überzeugte sie ihn, dass er meine Bekanntschaft machen müsse. Ihr zuliebe willigte er ein. In jener Phase seines Lebens war Léonard durch und durch Materialist, er glaubte an nichts und niemanden mehr. Er hatte dem Gott des Geldes gedient, bis dieser Moloch sein Herz zu verschlingen drohte. Dann kam er in meine kleine Kirche und begegnete Jesus. Glaube mir, ob du nun ein erfolgreicher Banker oder ein einfacher Dealer bist, manchmal kommt der Moment, in dem du nicht mehr an das Geld glaubst. Oder in dem du deinem Leben einen Sinn geben, nicht mehr nur an dich selbst denken möchtest, an den Zaster, den du machen wirst. Léonard war an diesem Scheidepunkt angelangt. Ich erkannte es vor ihm. Léonard und ich sind uns im Geiste ganz ähnlich. Er sprach von einer Schicksalsgemeinschaft. Der arme Schwarze und der reiche Weiße, zwei Schurken, die eines Tages Gott begegnen und mit klarem Blick ihr Schurkenleben betrachten. Sie war es, die diese Umkehr bei ihm ausgelöst hat.«
Schweigend trank Nick sein Bier aus. Er brauchte mehr. Namen, persönliche Daten.
»Wie heißt die junge Frau?«
»Ihr Vorname ist Zahra. Ihren Nachnamen kenne ich nicht.«
»Wie? Sie ist Muslimin?«
»Natürlich ist Zahra Muslimin. Sie hatte vor, zum christlichen Glauben überzutreten, und wollte sich taufen lassen. Zahra ist Afghanin.«
***
Osama fuhr direkt nach Hause, ohne noch einmal im Kommissariat vorbeizuschauen. Die beiden Fallschirmspringer, die am Vortag dort aufgetaucht waren, standen noch immer Wache. Er stieß die Tür auf. Es war angenehm bei ihm zu Hause, Malalai hatte den Kohleofen auf Hochtouren gebracht. Ein angenehmer Duft nach
Shorwa
und knusprigem
Nan
durchzog die Luft, ihm lief das Wasser im Mund zusammen. Malalai hatte ein buntes Bauernkleid aus
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