Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
Frau an der Seite des Mannes, den er suchte. Wer war sie wirklich? Sich vom Glauben loszusagen, wurde in Afghanistan mit dem Tod bestraft, wie in der Mehrzahl der muslimischen Länder. Abgesehen von ihrer atemberaubenden Schönheit, auf die der Pastor angespielt hatte, musste diese Frau zudem sehr mutig sein.
Er aß ein Stück Apfelkuchen zum Nachtisch, ohne ihn richtig genießen zu können. Es musste Hunderte Zahras in der Schweiz geben, aber, so dachte er plötzlich, wenn sie tatsächlich so schön war, wie der Geistliche behauptete, bestand vielleicht die Chance, sie mittels der Datensätze der Eidgenössischen Immigrationsabteilung ausfindig zu machen.
Sie enthielten nämlich immer Fotos.
***
Joseph und Amin stiegen in den alten, total verbeulten Shiguli ein. Der neue Motor des Paykan war ausgefallen, und so hatten sie sich dazu durchringen müssen, diesen Wagen zu benutzen, der nicht einmal gepanzert war. Sie trugen die landestypische Kleidung,
Shalwar qameez
, braune Kurta und
Pakol
. In diesem Aufzug und noch dazu mit einem Dreitagebart musste man schon genau hinsehen, um zu erkennen, dass sie Ausländer waren. Zwischen die Vordersitze hatte Joseph ein mit einem Granatenwerfer bestücktes Sturmgewehr geklemmt. Als sie nach Kabul hineinfuhren, standen sie schon bald im Stau. Joseph schloss die Augen, als würde er schlafen. Amin fand seine Ruhe beeindruckend. Auch jetzt, als sie sich unter lauter bärtigen Männern mit finsteren Gesichtern befanden, zeigte Joseph nicht das geringste Anzeichen von Nervosität, während Amin der Angstschweiß den Rücken hinablief. Jeder Fußgänger konnte ein
Shahid
sein, in jedem Auto konnte ein Talibankommando sitzen.
»Entspann dich«, sagte Joseph, die Augen weiterhin geschlossen, als könne er seine Gedanken lesen. »Mit mir passiert dir nichts. Beruhige dich, fahr vorsichtig.«
»Wie schaffen Sie das nur, so ruhig zu bleiben? Haben Sie niemals Angst oder so?«
Ein feines Lächeln huschte über Josephs Gesicht. Er schlug die Lider auf, und Amin erschrak, als er die leblosen Augen sah, zwei feuchte Flecken.
»Angst, das ist ein Geisteszustand.«
»Das hat mir mein Ausbilder im Aurès-Gebirge auch immer gesagt. Und dann haben sie ihm die Kehle durchgeschnitten, wie einem Schwein.«
»Angst zu haben ist nicht schlimm, Amin. Alle guten Soldaten haben Angst. Die, die keine Angst haben, werden schneller als andere umgelegt.«
Sie fuhren am Chirahi-Pul-Artan vorbei, wo Afghanistans erste Ampel installiert worden war; staunend hatte sich eine Gruppe Männer vom Land davor versammelt. Ein leichter Panzer bewachte symbolisch den Ort. Joseph ließ Amin nach links auf einen übersichtlichen, breiten Zubringer abbiegen. Nach einer halben Stunde gelangten sie zu der Straße, in der Kommissar Kandar wohnte. Joseph griff nach seiner Kamera und lichtete den Ort in allen Einzelheiten ab, er notierte noch die unbedeutendste Kleinigkeit. Die Behörden hatten die Überwachung von Kandars Wohnhaus ernster genommen, als er sich vorgestellt hatte. Ein Jeep, ein Pick-up, ausgerüstet mit einem 12,7-mm-Maschinengewehr, mehrere Männer in neuen Kampfanzügen, die Kalaschnikow stets schussbereit. Um das Haus zu erstürmen, hätte es ein ganzes Kommando gebraucht. Im Fall einer Schießerei wäre es äußerst schwierig gewesen, sich zurückzuziehen. Außerdem stand am Eingang zur Straße ein Polizeiposten, in ungefähr fünfhundert Metern Entfernung. Wenn es zu einem Schusswechsel kommen würde, blieben ihnen maximal zwei Minuten Aufschub, und eine Fluchtmöglichkeit gab es nur in die Gegenrichtung. Er verzog schmerzlich das Gesicht. Nicht gerade ermutigend, das Ganze. Er inspizierte die unmittelbare Umgebung. Es war möglich, über die Dächer zu entkommen, alle Häuser waren recht niedrig. Er tippte alle Details in sein I-Pad und überlegte, dass man sich einen Überblick über die Zugänge zum Haus am besten aus der Luft verschaffte.
»Gleich fliegen wir auf«, sagte Amin plötzlich beklommen. »Die Nachbarn werfen uns bereits neugierige Blicke zu. Wirfallen zu sehr auf hier im Viertel, ich glaube, die kennen sich alle untereinander.«
»Okay, kehren wir um.«
In nur sechshundert Metern Entfernung von Kandars Haus, entdeckten sie eine lange Mauer. Eine Kaserne des ANA. Das erschwerte den Rückzug zusätzlich.
»Haben Sie die gesehen?«, fragte Amin und deutete auf die Wachtürme, welche die Kaserne überragten.
»Natürlich! Ihn zu Hause zu überfallen wird kein Kinderspiel. Jetzt
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