Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
schlichter Baumwolle an.
»Wo hast du dieses Kleid gekauft? Es steht dir großartig!«
»Das habe ich gerade geschenkt bekommen. Bei der RAWA.«
»Hat eure Versammlung endlich stattgefunden?«
»Ja. Ich wurde in den Verwaltungsrat gewählt, einstimmig. Das ist mein Willkommensgeschenk.«
Osama versuchte, seine Besorgnis zu verbergen.
»Was habt ihr beschlossen?«
»Unsere Aktion zur Gewinnung weiterer Mitglieder wird nun wie vorgesehen starten. Ich wurde mit der Auswahl der Ausbilderinnen beauftragt. Die ersten Informationsveranstaltungen werden am Wochenende stattfinden.«
Osama schüttelte den Kopf.
»Ich versuche nicht mehr, dich davon abzuhalten, ich habe eingesehen, dass es nichts bringt. Wirst du mir zumindest versprechen, vorsichtig zu sein?«
Malalai schmiegte sich an ihn.
»Sei unbesorgt, mein großer
Qoumaandaan
. Ich werde sehr vorsichtig sein.« Sie legte die Hand auf den Schulterriemen ihres Kleides. »Ich habe mich heute Morgen wachsen lassen. Wollen wir das nicht feiern?«
Osama lächelte, er ließ sich gern von seiner Frau verführeren. Mit der Leidenschaft eines Zwanzigjährigen riss er ihr beinahe das Kleid vom Leib. Später lagen sie nebeneinander auf dem Bett und genossen diesen Augenblick der Ruhe. Osama hörte Malalais Herz an seinem Körper schlagen. Er schämte sich fast ein wenig, so viel Glück zu empfinden. Er hatte eine schöne und intelligente Frau, die er liebte und die er aus freien Stücken gewählt hatte, nicht weil sie ihm von der Familie aufgedrängt worden wäre. Er hatte eine Arbeit, war angesehen, hatte eine Küche, ein Gehalt, von dem er sich zweimaliges Duschen pro Tag und gesundes Essen leisten konnte, während die meisten seiner Mitbürger nur von Zeit zu Zeit Fleisch aßen und sich den ganzen Winter über nicht wuschen. Seine beiden Kinder hatten gute Jobs, sie waren im Ausland in Sicherheit, er hatte nur einen Sohn verloren, der den Heldentod im Kampf gestorben war, während ganze Familien vom Krieg dezimiert worden waren.
Malalai drückte sich leise schluchzend an ihn.
»Was ist los?«, murmelte er.
»Es ist so ein Glück, dass ich dich habe«, sagte sie. »Ich weiß nicht, wie ich ohne dich leben würde. Vielleicht in einem Dorf ohne Strom, ich würde Feldarbeit verrichten und einen ungebildeten und schmutzigen Ehemann mit drei anderen Ehefrauen teilen.«
Gerührt schloss Osama sie noch fester in die Arme. Eng umschlungen schliefen sie ein.
***
Nick parkte vor einem kleinen Terrassencafé in der Nähe des Großmünsterplatzes. Er hatte das Bedürfnis, mit jemandem über das zu sprechen, was er bislang herausgefunden hatte – doch mit wem? Er war nicht daran gewöhnt, allein zu arbeiten, ohne seine Überlegungen mit jemandem teilen zu können. Diese Einsamkeit, die seit Werners Tod zugenommen hatte,belastete ihn. Kurz überlegte er, ob er Margaret anrufen solle, doch dann ließ er es bleiben. Es hatte keinen Sinn, sie da hineinzuziehen. Er bestellte einen Salat mit Hähnchenbruststreifen und ein Glas Rotwein. Eine phantastisch aussehende junge Frau, schlank und hochgewachsen, mit schulterlangen blonden Haaren bediente ihn. Einige Wochen zuvor hätte er nicht gezögert, sie anzusprechen. Doch plötzlich sah er keinen Sinn mehr in einer flüchtigen Bekanntschaft.
Er seufzte und sah auf die Uhr. Er würde sich in die Firma schleichen, wenn alle Kollegen nach Hause gegangen waren, und sich mit Hilfe von Margarets geheimen Zugangsdaten in die Datenbanken des Eidgenössischen Verkehrsministeriums einloggen. Vielleicht hatte er Glück und Léonard tauchte auf einer Passagierliste auf. Doch womöglich hatte er seinen falschen Pass in der Schweiz gar nicht benutzt. Wenn er über Osteuropa entkommen war, hatte er möglicherweise dort eine Fluggesellschaft aufgetan, die keine Passagierlisten an die NATO-Staaten weiterleitete. Eine der zahlreichen Gesellschaften der Ex-UdSSR zum Beispiel oder eine afrikanische oder eine aus dem Nahen Osten. Die Staaten, die keine Beziehungen zu den Vereinigten Staaten oder der Europäischen Union hatten, weigerten sich, ihre Daten weiterzuleiten, ungeachtet der Sanktionen, die ihnen dabei drohten.
Nervös massierte er sich den Nacken. Ein köstlicher Duft aus der Küche wehte zu ihm herüber. Er sah nach draußen. Eine Frau führte ihren Hund aus. Ein Wagen der Stadtreinigung fegte das Trottoir. Die Normalität, weit weg von den K-Männern und der trüben, unterirdischen Welt der »Firma«.
Er musste an Zahra denken, die neue
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