Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
Vorahnung nicht erwehren. Er ließ den Fahrer aussteigen, damit er mit seinen Assistenten ungestört reden konnte; er wollte keinen Zeugen ihres Gesprächs haben. Dann fuhr er los, gefolgt von dem Pick-up.
»Also, was meint ihr?«, fragte Babrak fast unmittelbar darauf. »Führt diese Spur weiter?«
»Wir sind einen großen Schritt weiter. Dieser Abend ist bestens für uns gelaufen!«
»Weshalb? Wir haben gar nichts. Die Tresore waren doch leer!«
»Wir haben eine entscheidende Information: Wir wissen jetzt, dass jemand diese Tresore geöffnet hat und dass dieser Jemand kein Afghane ist. Das untermauert meinen Verdacht, den ich seit meinem ersten Besuch am Tatort habe. Die Idee, einen Selbstmord zu inszenieren, kann nicht von einem Afghanen stammen. Da hat sich jemand verrechnet – ein Mord, ein Attentat hätten viel weniger Aufsehen erregt. Ich fasse zusammen: Wir haben also einen als Selbstmord getarnten Mord, der nur von jemandem aus dem Westen in Szene gesetzt worden sein kann, einen Safe, den nur jemand aus dem Westen geöffnet haben kann, und einen Minister, der von sehr einflussreichen Leuten manipuliert worden sein muss.
»Von wem denn?«
»Genau das, mein lieber Babrak, müssen wir jetzt herausfinden.«
Joseph setzte das Nachtsichtgerät ab. Er hatte beschlossen, zum Kommissariat zu fahren, um sich die Örtlichkeiten einzuprägen, damit er sich im Falle eines Einsatzes dort auskannte. Er hatte den Kommissar in dem Augenblick gesehen, als dieser in seinen Jeep einstieg, gefolgt von einem Trupp Männer, die sich auf zwei Begleitautos aufteilten. Er brauchte gar nicht auf die aus Bern gesandten Fotos blicken, er erkannte Kandar sofort: ein gemessen einherschreitender Hüne mit kurzgeschorenem Bart, zaundürr, mit einer flachen Lammfellmütze auf dem Kopf. Sie hatten sofort die Verfolgung aufgenommen und waren in einiger Entfernung hinter der seltsamen Mannschaft des Kommissars hergefahren, zunächst bis zum Gefängnis, dann zu einem Privathaus, das er bislang noch nicht identifiziert hatte, schließlich zu einem Bürogebäude.
Er wandte sich zu seinem K-Mann um. Amin wartete auf die Bestätigung der Identität des Gefangenen, den der Kommissar aus dem Gefängnis geholt hatte. Joseph verstand nicht, was Kandar im Schilde führte, und das beunruhigte ihn.
»Weißt du, wem das Haus gehört, in dem sie sich gerade aufhalten?«
»Ich warte. Wir haben die Antwort in zwei Minuten.«
Amin tippte seit über einer halben Stunde auf dem Laptop auf seinen Knien herum. Joseph seufzte und ließ sich gegen die Rückenlehne sinken. Er war es gewohnt, zu warten: Seine Arbeit bestand zu neunundneunzig Prozent aus Warten und zu einem Prozent aus Handeln. Einige Augenblicke darauf verkündete ein Piepton den Eingang einer Mail. Er richtete sich sofort wieder auf.
»Und?«
»Die Adresse stimmt mit dem Büro von Wali Wadi überein.«Joseph sagte nichts. Das hatte er von Anfang an vermutet.
»Keine Infos über den Typen, den sie aus dem Gefängnis geholt haben?«
»Noch keine, Chef. Tut mir leid.«
Joseph blickte auf sein stummes Telefon. Er hatte seinen Spitzel im Kommissariat angerufen, gleich als er den Häftling auf Kandars Auto hatte zugehen sehen. Der Spitzel hatte ihm zugesichert, sich sofort zum Gefängnis zu begeben und Auskünfte einzuholen; seitdem hatte er jedoch nichts mehr von sich hören lassen. Plötzlich erregte eine Bewegung Josephs Aufmerksamkeit. Mehrere bewaffnete Männer traten aus dem Bürogebäude. Die Gestalt Osama Kandars überragte alle anderen um gut einen Kopf. Der Kommissar stieg in seinen Jeep, die übrigen Männer hasteten auf die beiden anderen Fahrzeuge zu, die auf der Stelle losfuhren.
»Hinterher«, befahl Joseph.
Der Peykan mit der abblätternden Lackierung brauste los. Der altersschwache Vierzylinder iranischer Herkunft war durch einen Doppel-Turbo ersetzt worden, die Aufhängung durch ultramoderne Gasstoßdämpfer, und die Karosserie mit den Scheiben aus Panzerglas vermochte die Kugeln einer Kalaschnikow abzuwehren. Dank des schäbigen Aussehens des Wagens hatte bisher niemand die Verfolger bemerkt.
Obwohl es schon sehr spät war, herrschte noch reger Verkehr: Lastwagen, Militärfahrzeuge, aber auch viele normale Pkws. Dabei war die gesamte Stadt in Dunkel getaucht – ein seltsames, unangenehmes Gefühl; ein Gefühl, als ob man sich in einem Horrorfilm befände.
»Da kriegt man ganz schön Schiss, wenn die Stadt um einen herum so im Dunkeln liegt, was?«, bemerkte Amin
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