Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
mit einem leichten französischen Akzent. Nick trat zur Seite.
»Bitte sehr.«
Sie war sehr selbstsicher, wie sie da ihren Mantel aufs Sofa gleiten ließ und ein marineblaues, bis zum Knie reichendes Kleid enthüllte, das ihre Beine zeigte und ihre schlanken Fesseln sowie eine zweifellos nicht ganz echte Brust gut zur Geltung brachte. Ihr Aufzug passte nicht wirklich zu ihrer strengen Brille. Die Träger eines schwarzen BHs zeichneten sich unter dem leichten Stoff des Kleids ab. Man hätte sie für ein Topmodel aus einem Modemagazin halten können. Nick errötete und lud sie mit einer Geste ein, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Sie schlug sehr elegant die Beine übereinander und brach dann in ein frisches Lachen aus.
»Ich bin schon vielen schüchternen Männern begegnet, aber Sie sind ja wirklich der Gipfel. Sie sind attraktiv, Sie gefallen mir. Treiben Sie Sport?«
»Ja, Skifahren und Alpinklettern.«
»Ich liiiiebe Klettern. Aus welcher Ecke kommen Sie?«, fragte sie.
»Aus Genf, aber ich wohne in Bern.«
Sie blieben eine Weile lang so sitzen und sahen sich stumm an.
»Sie sind ein seltsamer Typ … Haben Sie an irgendwas Bestimmtes gedacht, was uns angeht?« Sie beugte sich zu ihm, der Hauch eines schweren Parfums wehte ihn an. »Haben Sie bestimmte Phantasien? Ich könnte Ihnen … neue Formen des Kletterns beibringen.«
Sie lachte herzhaft, ein wohlerzogenes Lachen, so, als wäre sie selbst pikiert über ihre schlüpfrige Bemerkung.
»Um ehrlich zu sein, habe ich Sie gar nicht wegen … eines Rendezvous bestellt. Ich möchte mich gerne mit Ihnen unterhalten.«
»Worüber?«
Sie lächelte noch immer, aber ihre Haltung hatte sich verändert. Er spürte, dass sie auf der Hut war. Er hatte Verständnis für sie, denn – ob Luxusprostituierte oder Mädchen vom Straßenstrich – ein unbekannter Kunde, der nicht zur Sache kommen wollte, war meistens ein Problemkunde. Seltsamerweise machte ihn sein Geständnis locker. Er verschränkte die Hände unterm Kinn und hielt Jacquelines Blick stand.
»Über einen Ihrer Stammgäste. Sein Vorname ist Léonard.«
Sie stand auf, mit verschlossenem Gesicht.
»Ich kenne keinen Léonard. Außerdem dürfen wir sowieso keinem Kunden von einem anderen Kunden erzählen. Es erstaunt mich, dass Sie diese Regel nicht kennen.«
»Die Regel tritt außer Kraft, wenn ein Kunde in Lebensgefahr ist«, erwiderte Nick sanft. »Léonard ist auf der Flucht, man will ihn umbringen. Wenn ich ihn nicht vor seinen Verfolgern finde, ist er tot.«
Er schämte sich für diese Lüge, aber was hätte er sonst tun sollen? Jacqueline setzte sich wieder und seufzte.
»Sind Sie ein Freund von ihm?«
»Schauen Sie mich an. Sehe ich so aus, als wollte ich ihm etwas antun?«
Forschend musterte sie ihn. Seine Direktheit schien sie zu überzeugen.
»Sie wirken wie ein Polizist, sind aber keiner. Wer sind Sie also?«
Prostituierte haben einen sechsten Sinn, Polizisten und Schufte erkennen sie auf den ersten Blick. Ein Callgirl wie Jacqueline hätte niemals zehn Jahre in ihrem Beruf überlebt, wenn sie nicht diese Gabe der feinen Beobachtung und Wahrnehmung besäße.
»Ich bin eine Art Fahnder. Ein Fahnder und ein Freund. Möchten Sie mir helfen, Jacqueline?«
»Warum sollte ich das tun?«
»In finanzieller Hinsicht bringt es weder Ihnen noch mir etwas, es geht lediglich ums Prinzip. Oder um die Moral, wenn Ihnen das lieber ist. Sie treffen sich mit Léonard seit neun Jahren. Ich kann einfach nicht glauben, dass Ihnen sein Schicksal gleich ist«, wich Nick der Frage aus.
Einen Polizistentrick, den er von Werner übernommen hatte: »Wenn du willst, dass dir eine Prostituierte hilft«, hatte er immer gesagt, »behandle sie mit Respekt, wie eine Lady. Niemand behandelt Prostituierte wie Ladys, angefangen bei der Polizei.«
»Natürlich helfe ich Ihnen gerne. Aber nur, dass Sie sich keine falschen Hoffnungen machen: Ich weiß so gut wie nichts über Léonard. Ich frage mich selbst, was passiert ist, weil ich gar nichts mehr von ihm gehört habe.«
»Wirkte er bei Ihrem letzten Treffen irgendwie nervös?«
»Nein, absolut nicht.«
Sie erzählte Nick, was er schon aus dem Dossier wusste. Er machte sich Notizen und unterbrach sie hier und dort für eine genauere Nachfrage.
»Hat er versucht, Sie außerhalb Ihrer … Zusammenkünfte zu treffen?«
»Nein, nie.«
»Hat er sich bei Ihnen so verhalten wie der Mann, der er zu sein schien? Hatte er irgendwelche besonderen
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