Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
denn diese Koffer her?«, staunte Babrak.
»Die habe ich bei einem meiner Besuche in Rom mitgehen lassen. Die italienischen Polizisten glaubten, es seien meine eigenen, also durfte ich sie behalten.«
Bei Wali Wadi angelangt, schien Tikrini sich gleich in seinem Element zu fühlen. Er öffnete die beiden Koffer und breitete sein Werkzeug mit präzisen Gesten auf einer roten Filzdecke aus: eine Bohrmaschine, mehrere Pinzetten, Hebelvorrichtungen,Metallschäfte, außerdem einen Laptop, den er ans Stromnetz anschloss.
»Es ist wichtig, seine Werkzeuge ordentlich aufzureihen, immer nach demselben Schema«, erklärte er. »So hat man sie griffbereit und kann gegebenenfalls schnell abhauen.«
»Wie viele Einbrüche hast du auf dem Kerbholz?«, fragte Osama.
»Zweihundertsiebenunddreißig, darunter etwa zwanzig extrem gut gesicherte Tresore. Ich wurde nur fünfmal ertappt und zweimal verurteilt. Ich habe ein Vermögen verdient, leider hat die italienische Polizei allerdings meine sämtlichen Bankkonten aufgespürt und beschlagnahmt; ich wurde mit tausend Euro in der Tasche abgeschoben.« Er lächelte Osama an. »Ohne angeben zu wollen – Sie haben großes Glück, dass ich Ihnen helfe, niemand im Umkreis von zweitausend Kilometern hat so viel Erfahrung wie ich.«
Er setzte einen Helm mit einer leistungsstarken Lampe und seltsamen Vergrößerungslinsen auf, die sein Gesicht zur Hälfte verdeckten.
»Merkwürdig«, sagte er.
Osama trat dichter hinter ihn.
»Was ist merkwürdig?«
»Sehen Sie mal, diese Spuren hier am Schloss. Mit bloßem Auge sind sie kaum zu erkennen, aber mit den Vergrößerungslinsen sieht man sie.«
»Du meinst diese winzigen Kratzer?«
»Genau.«
»Was bedeuten sie?«
»Dass bereits jemand den Tresor geöffnet hat. Er muss ein technisch höchst raffiniertes Gerät benutzt haben, um winzige Metallstifte in das Schloss einzuführen. Ich habe so etwas noch nie gesehen, aber man erzählt sich unter Kollegen davon. Eine Art Schlüssel, der in jedes Schloss passt. Um den Code zu knacken, braucht man einen leistungsstarken Rechner, so wiemeinen, und eine spezielle Software, die alle Kombinationen durchrechnet. Kein Safe hält da stand.«
»Wie viel Zeit braucht man, um einen Safe mit solchem Material zu öffnen?«
»Eine Stunde, vielleicht auch etwas weniger.«
»Und du, wie lange brauchst du?«
»Genauso lange, aber ich werde wohl die Tür zerstören müssen.«
»Mach Fotos von dem Schloss, Nahaufnahmen«, wies Osama einen seiner Mitarbeiter an. »Als Beweis für das, was wir hier gesehen haben.«
Tikrini brauchte eine Stunde, um den Tresor zu öffnen. Als die Tür endlich mit einem Kreischen aufsprang, stürzte Osama nach vorn. Reflexartig steckte er die Hand hinein. Nichts, nicht einmal ein Staubkorn.
»Los, rüber, in Wali Wadis Büro. Wir öffnen den zweiten Tresor.«
Dort wiederholte sich die Prozedur, mit demselben Ergebnis: einem leeren Safe.
»Welcher Afghane außer dir könnte diese Safes knacken, ohne eine Spur zu hinterlassen?«, fragte Osama.
»Niemand«, gab Tikrini zurück. »Das Material, von dem ich Ihnen erzählt habe, findet man nirgendwo hierzulande, und Leute, die es handhaben können, gibt es auch nicht.«
»Aber du wärst dazu in der Lage?«
»Nicht gleich, vermutlich, und nicht so unauffällig. Wer den hier geöffnet hat, hat Übung. Das ist ein Profi.«
»Verstehe«, sagte Osama. »Du hast uns sehr geholfen. Ich werde ein gutes Wort für dich bei dem Staatsanwalt einlegen, der mit deinem Fall befasst ist.«
»Mein Anwalt hat mich nie besucht, und einer der Männer vom Wachpersonal meinte, ich würde an Kanada ausgeliefert werden. Dabei habe ich doch nur die Ehre meiner Schwester verteidigt!«
»Die ISAF-Länder haben mittlerweile ein Gespür für die Fehltritte ihrer Truppen entwickelt. Ich werde darauf achten, dass du dich vor einem Mitglied der Militärpolizei oder der kanadischen Justiz verteidigen kannst.« Osama legte dem Mann die Hand auf die Schulter. »Weißt du, diese westlichen Länder, die funktionieren nicht so wie wir: Dort sind die Gerichte ehrbar und unabhängig. Wenn es sich tatsächlich so zugetragen hat, wie du beschreibst, dann sind die Kanadier die Ersten, die darauf hinwirken, dass mildernde Umstände geltend gemacht werden. Es sieht also gar nicht so schlimm aus für dich.«
Gegen elf Uhr abends lieferten sie Tikrini vor dem Gefängnis ab. Als sie ihn im Innern des düsteren Gebäudes verschwinden sahen, konnte Osama sich einer bösen
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