Das Kadett
Prüfgerät über Botharis Brust. »Nein, wie schrecklich.«
Eine plötzliche Hoffnung packte Miles. »Die Kryokammern – wie sieht’s da aus?«
»Seit dem Gegenangriff sind alle belegt.«
»Nach welchen Kriterien gehen Sie bei der Belegung vor?«
»Die am wenigsten Verletzten haben die beste Chance auf Wiederbelebung. Sie sind die erste Wahl. Feinde kommen als letzte dran, es sei denn der militärische Abschirmdienst macht Stunk.«
»Wie würden Sie diese Verletzung beurteilen?«
»Schlimmer als alle, die ich jetzt auf Eis liegen habe, abgesehen von zwei von Tungs Leuten. Soll ich davon einen rausschmeißen?«
Miles blickte Elena fragend an. Sie starrte Botharis Leichnam an, als sei er ein Fremder, der zwar das Gesicht ihres Vaters hatte, aber jetzt plötzlich die Maske abgelegt hatte. Ihre dunklen Augen waren wie tiefe Höhlen – wie Gräber: eines für Bothari und eines für ihn.
»Er hasste die Kälte«, sagte Miles schließlich. »Lassen Sie ihn nur in einen Sarg legen.«
»Jawohl, Sir.« Ohne Eile verließ sie den Raum.
Mayhew trat näher und betrachtete verstört den Toten. »Es tut mir aufrichtig leid, Mylord. Ich hatte gerade angefangen, ihn irgendwie zu mögen.«
»Ja, danke. Geht jetzt alle.«
Er blickte die Escobarin an. »Gehen Sie endlich«, flüsterte er.
Elena ging zwischen dem Toten und der Frau wie ein Tier hin und her, das gerade in einen Käfig gesperrt wurde und feststellt, dass kaltes Eisen auch brennen kann.
»Mutter«, sagte sie leise mit einer Stimme, die Miles von ihr noch nie gehört hatte.
»Bleib mir vom Leib«, fuhr Elena Visconti sie an. »Und zwar weit weg!« Der Blick voller Verachtung war wie eine Ohrfeige. Dann ging sie hinaus.
»Vielleicht solltest du mitkommen und dich irgendwo hinsetzen, Elena«, schlug Arde vor. »Ich hole dir einen Schluck Wasser.« Besorgt zupfte er sie am Ärmel. »Nun komm schon, sei ein braves Mädchen.«
Sie ließ sich widerspruchslos wegführen. Nur einmal schaute sie zurück über die Schulter. Ihr Gesicht erinnerte Miles an eine zerbombte Stadt.
Miles wartete noch auf die Sanitäterin. Voll Angst hielt er die Totenwache bei seinem Lehnsmann. Die Angst wurde größer, da sie für ihn ungewohnt war. Bis jetzt hatte immer der Sergeant für ihn Angst gehabt. Er berührte Botharis Gesicht. Das rasierte Kinn fühlte sich rau an. »Was soll ich jetzt nur machen, Sergeant?«
KAPITEL 16
Drei Tage dauerte es, bis Miles weinen konnte. Es kam wie ein angsteinflößender, unkontrollierbarer Sturm über ihn, als er allein im Bett lag, und dauerte mehrere Stunden lang. Miles hielt es für eine erlösende Reinigung, aber in folgenden Nächten wiederholte es sich. Er hatte Angst, dass es nie aufhören würde. Ständig hatte er Magenschmerzen, besonders nach den Mahlzeiten. Daher nahm er nur ganz wenig zu sich. Seine scharfen Gesichtszüge wurden noch ausgeprägter. Er war nur noch Haut und Knochen.
Die Tage waren ein grauer Nebel. Vertraute und fremde Gesichter wollten dauernd Anweisungen von ihm. Seine ständige Antwort lautete: »Macht, was ihr wollt.«
Elena sprach überhaupt nicht mit ihm. Er litt unter panischer Angst, dass sie in Baz’ Armen Trost suchte und fand. Versteckt beobachtete er sie, aber sie schien nirgends Trost zu finden.
Nach einer besonders ergebnislosen Besprechung des Stabs der Dendarii nahm Arde Mayhew ihn beiseite. Miles hatte stumm am Kopfende des Tisches gesessen und seine Handflächen betrachtet, während seine Offiziere wie Frösche sinnlos herumgequakt hatten.
»Gott weiß, dass ich nicht viel davon verstehe, wie ein guter Offizier sich zu verhalten hat«, sagte Arde. »Aber ich weiß, dass du nicht einfach zweihundert Leute mit dir auf einen Ast zerren kannst und dann einfach wie versteinert herumhockst.«
»Du hast recht«, fuhr Miles ihn an. »Du hast keine Ahnung.«
Dann stapfte er davon, war aber innerlich von dem berechtigten Vorwurf Mayhews aufgerüttelt. Gerade noch rechtzeitig kam er in seine Kajüte, um sich ohne Zeugen zum vierten Mal in dieser Woche zu übergeben.
Bothari war jetzt zwei Wochen tot. Miles fasste den festen Entschluss, sich sofort in die Arbeit zu stürzen. Dann fiel er übers Bett und lag die nächsten sechs Stunden reglos da.
Miles zog sich an. Alle Männer, die auf einsamem Posten längere Zeit gearbeitet hatten, waren sich darin einig, dass man unbedingt einen gewissen Lebensstandard aufrechterhalten musste, sonst ginge man vor die Hunde. Miles war schon drei Stunden
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