Das Kadett
wach und hatte erst die Hosen an. In der nächsten Stunde wollte er entweder die Socken anziehen oder sich rasieren – je nachdem, was ihm leichter erschien. Er dachte über die idiotische Gewohnheit der Barrayaraner nach, sich täglich zu rasieren, während die zivilisierten Betaner die Haarwurzeln permanent entfernen ließen. Vielleicht nahm er doch erst die Socken.
Jemand drückte auf den Türsummer. Er ignorierte es. Dann ertönte Elenas Stimme aus der Sprechanlage: »Miles, lass mich rein!«
Er setzte sich auf und rief schnell: »Herein!« Damit löste er das Stimmschloss.
Sie bahnte sich einen Weg durch herumliegende Kleidung, Waffen, Verpackung von Nahrungsmitteln und rümpfte missbilligend die Nase: »Also, wenn du diesen Schweinestall nicht selbst saubermachen willst, solltest du dir wenigstens einen neuen Offiziersburschen suchen.«
Miles schaute sich ebenfalls in der Kajüte um. »Darauf wäre ich nie gekommen«, sagte er beschämt. »Ich hielt mich eigentlich immer für einen ziemlich reinlichen Menschen. Alles war immer wie von selbst aufgeräumt. Würde es dir denn nichts ausmachen?«
»Was sollte mir etwas ausmachen?«
»Wenn ich einen neuen Leibdiener nehme.«
»Was geht mich das an?«
Miles dachte nach. »Vielleicht Arde. Ich muss für ihn früher oder später eine Beschäftigung finden, wenn er jetzt nicht mehr springen kann.«
»Arde?«, wiederholte sie misstrauisch.
»Er ist längst nicht mehr so schlampig wie früher.«
»Hm.« Elena hob einen Handbetrachter auf und suchte nach einem Platz, um ihn aufzustellen. Aber es gab nur eine ebene Fläche in der Kajüte, auf der keine Gegenstände lagen.
»Miles, wie lang willst du den Sarg noch hier drin behalten?«
»Er kann hier ebensogut wie woanders stehen. Die Leichenkammer ist so kalt. Und er mochte die Kälte nicht.«
»Die Leute halten dich allmählich für etwas seltsam.«
»Lass sie denken, was sie wollen. Ich habe ihm mein Wort gegeben, dass ich ihn zurückbringe und auf Barrayar beerdige, falls … falls ihm hier draußen etwas zustieße.«
Sie schüttelte den Kopf. »Warum solltest du einer Leiche gegenüber dein Wort halten? Ein Toter merkt doch nichts mehr.«
»Aber ich lebe«, erklärte Miles ruhig. »Und ich würde es wissen.«
Mit zusammengekniffenen Lippen lief sie wütend auf und ab. »Ich halte seit zehn Tagen deine Trainingsübungen ohne Waffen ab, und du bist nicht zu einer einzigen Stunde erschienen.« Miles überlegte, ob er ihr sagen sollte, dass er öfters Blut spuckte. Nein, sie würde ihn sofort in die Krankenstation schleppen. Er wollte nicht, dass die Sanitäter ihn untersuchten. Bei einer genauen medizinischen Untersuchung würde sein wahres Alter und die versteckte Schwäche der Knochen bekannt werden.
Elena fuhr fort: »Baz arbeitet Doppelschichten bei der Reparatur der Ausrüstung. Tung, Thorne und Auson schuften wie die Irren, um die neuen Rekruten einzuteilen – aber alles geht langsam in die Brüche. Pausenlos gibt es Streitereien. Miles, wenn du dich noch eine Woche hier oben verkriechst, sehen die Dendarii Söldner wie deine Kajüte aus.«
»Ich weiß. Ich war bei den Besprechungen. Nur, weil ich nichts sage, heißt das nicht, dass ich nicht zuhöre.«
»Dann höre auch, wenn sie sagen, dass sie deine Führung brauchen!«
»Ich schwöre bei Gott, Elena, ich weiß nicht, wozu.« Er fuhr sich durchs Haar. »Baz repariert alles, Arde arbeitet damit, Tung, Thorne und Auson erledigen mit ihren Leuten das Kämpfen, du sorgst dafür, dass alle körperlich fit sind – ich bin die einzige Person, die im Grunde überhaupt nichts tut.«
Er machte eine Pause. »Sie sagen? Was sagst du?«
»Was ich sage, ist doch unwichtig.«
»Aber du bist gekommen …«
»Sie haben mich gebeten, zu dir zu gehen. Du hast ja niemanden sonst hereingelassen, falls du das noch weißt. Seit Tagen sitzen mir alle im Genick. Sie benehmen sich wie ein Haufen dieser alten Christen, welche die Jungfrau Maria anflehen, bei Gott Fürbitte einzulegen.«
Miles lächelte fast wie früher. »Nein, nur bei Jesus. Gott ist auf Barrayar.«
Elena schlug die Hände vors Gesicht, musste aber laut loslachen. »Verdammt, warum bringst du mich immer zum Lachen!«
Miles stand auf, nahm ihr die Hände vom Gesicht und zog sie neben sich aufs Bett. »Und warum solltest du nicht lachen? Du verdienst es, zu lachen, und überhaupt alles Schöne und Gute.«
Elena antwortete nicht, sondern blickte nur stumm auf den länglichen Silbersarg an der
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