Das Kadett
Treffer, die Bothari innerlich völlig zerfetzt hatten.
»Warum hat er nicht geschossen?«, schrie Elena. Sie schüttelte die Escobarin. »War die Waffe nicht geladen?«
Miles las die Angaben auf dem Plasmabogen in der steifen Hand des Sergeants. Frisch geladen. Bothari hatte es mit eigener Hand soeben noch getan.
Elena warf einen verzweifelten Blick auf ihren toten Vater, dann packte sie die Frau am Hals und drückte auf die Kehle.
»Nein, Elena! Bring sie nicht um!«, rief er.
»Warum nicht? Warum nicht?« Ihr Gesicht war tränenüberströmt.
»Ich glaube, sie ist deine Mutter.« O mein Gott! Das hätte er nicht sagen sollen!
»Du glaubst diese schrecklichen Sachen?«, fuhr sie ihn wütend an. »Diese unbeschreiblichen Lügen …« Aber sie lockerte den Würgegriff. »Miles, ich weiß nicht einmal, was ihre Worte bedeuten …«
Die Escobarin hustete und starrte verwundert und verzweifelt Elena an. »Stammt sie etwa von dem da?«, fragte sie Miles.
»Sie ist seine Tochter.«
Sie betrachtete Elenas Gesichtszüge. Auch Miles wusste jetzt, woher Elena ihr Haar und die feine Knochenstruktur hatte.
»Du siehst wie er aus.« Abscheu spiegelte sich in ihren dunklen Augen. »Ich habe gehört, dass die Barrayaraner Föten für militärische Forschungen benutzten.« Dann musterte sie Miles misstrauisch. »Bist du etwa auch so einer? Nein, das ist nicht möglich …«
Elena trat zurück. Miles hatte einmal auf dem Sommersitz in Vorkosigan Surleau erlebt, wie ein Pferd in einem brennenden Stall umgekommen war, weil es wegen der Hitze niemand befreien konnte. Er hatte geglaubt, nichts könnte herzzerreißender klingen als die Todesschreie des in den Flammen sterbenden Tieres. Doch Elenas Schweigen jetzt war noch schlimmer. Sie weinte nicht einmal.
Miles wandte sich an die Escobarin. »Nein, Ma’am. Admiral Vorkosigan sorgte dafür, dass alle sicher in ein Waisenhaus gebracht wurden. Alle, bis auf …«
Elenas Lippen formten das Wort ›Lügen‹. Aber ihre Augen teilten diese Überzeugung nicht mehr, sondern verzehrten die Escobarin mit einer Sehnsucht, die Miles erschreckte.
Die Tür der Kajüte glitt auf. Arde Mayhew trat fröhlich ein und sagte: »Mylord, soll ich diese Arbeiten … Allmächtiger Gott!« Beinahe wäre er über Botharis Leiche gestolpert.
»Ich hole sofort Sanitäter!«, er rannte hinaus.
Elena Visconti näherte sich Botharis Leiche mit der Vorsicht, wie man sie bei einem gerade getöteten giftigen Reptil zeigen würde. Dann blickte sie Miles fest in die Augen. »Admiral Naismith, verzeihen Sie bitte, dass ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe. Aber dies war kein Mord. Es war die gerechte Hinrichtung eines Kriegsverbrechers. Ja, es war gerecht«, wiederholte sie leidenschaftlich. Dann versagte ihr die Stimme.
Es war kein Mord, sondern Selbstmord, dachte Miles. Er hätte dich mit Leichtigkeit erschießen können, so schnell wie er war. »Nein!«
Ihre Lippen wurden schmal. »Sie nennen mich ebenfalls eine Lügnerin? Oder wollen Sie mir auch sagen, dass es mir wohl Spaß gemacht hat?«
»Nein …« Miles schaute sie über einen tiefen Abgrund an, der nur einen Meter breit war. »Ich verhöhne Sie nicht. Aber bis ich fünf Jahre alt war, konnte ich nicht gehen, nur kriechen. Ich habe viel Zeit damit verbracht, die Knie der Leute zu betrachten. Doch wenn eine Parade stattfand, hatte ich immer den besten Platz, weil ich alles von der Schulter des Sergeants aus sehen konnte.«
Als Antwort spuckte sie nur auf Botharis Leichnam. Miles’ Blick trübte sich vor Wut. Nur die Rückkehr Mayhews und der Sanitäterin bewahrte ihn vor einer schrecklichen Tat.
Die Sanitäterin lief auf ihn zu. »Admiral, wo sind Sie verletzt?«
Verblüfft starrte er sie an. Dann merkte er, dass auch er vom Blut des Sergeants verschmiert war. »Ich nicht, der Sergeant.«
Sie kniete sich neben Bothari hin. »Was ist passiert? War es ein Unfall?«
Miles schaute Elena an. Sie hatte die Arme um sich geschlungen, als wäre ihr kalt. Nur ihre Augen wanderten unablässig ruhelos vom Leichnam zu Elena Visconti.
Miles kamen die Worte nur mühsam über die Lippen. »Es war ein Unfall. Er hat die Waffen gereinigt. Die Nadelpistole war auf automatisches Schnellfeuer eingestellt.« Zwei der drei Behauptungen stimmten.
Elena Viscontis Mund lächelte in stillem Triumph und vor Erleichterung. Sie glaubt jetzt, dass ich ihrer Rechtsauffassung zustimme. Verzeih mir …
Die Sanitäterin schüttelte den Kopf und fuhr mit einem
Weitere Kostenlose Bücher