Das Kainsmal
Schluchzend sagt er, das tut furchtbar weh.
Sein Vater dreht ihn an den Schultern herum und schiebt ihn durch die Tür ins Freie. Er sagt: »Um die Hand kümmern wir uns, wenn du alle Eier ins Haus gebracht hast.« Mr. Casey verriegelt die Fliegentür hinter Rant und sagt: »Wenn du nicht zu lange brauchst, ist die Hand vielleicht noch zu retten.«
Sheriff Bacon Carlyle: Rant sprach dauernd davon, dass er von zuhause weg wollte, er wollte da raus und sich eine neue Familie suchen. Meiner Meinung nach ist das der falsche Weg. Wenn man seine eigenen Leute nicht akzeptieren kann, mit all ihren schlimmen Eigenschaften, dann kann man andere Menschen und ihre schlimmen Eigenschaften erst recht nicht akzeptieren. Rant hat auf diese Weise nur gelernt, andere Menschen im Stich zu lassen.
Bodie Carlyle: Fliege und weißes Hemd, schwarze Lackschuhe und Gürtel: Rants Festtagskleidung für das österliche Eiersuchen. Aber nun ist daraus ein Wettlauf mit dem Tod geworden. Seine kleinen Hände biegen Blumen zur Seite, knicken Stängel. Seine Füße zertrampeln Petunien, zertreten Karottengrün. Jeder Herzschlag pumpt das Gift aus seiner Hand ein wenig mehr Richtung Gehirn. Der stechende Schmerz der Bisswunde wird dumpf, die Hand wird gefühllos, dann fast der ganze Arm.
Seine Mutter kommt heraus und findet ihn keuchend am Boden, mit dem Gesicht nach unten in dem Schlachtfeld liegend, das einmal ihr Gemüsegarten war. Erde klebt an den Tränen um seine grünen Augen.
Echo Lawrence: Sie ließen ihn da liegen. Stiegen ins Auto und fuhren zum Ostergottesdienst.
Wieder so ein Moment, wieder geht etwas zu Ende, was eigentlich ewig hätte währen sollen.
Bodie Carlyle: Mehr als diese drei Eier hat Rant nicht gefunden. Sie kommen nach Hause, und mehr hatte er nach einem ganzen Tag nicht vorzuweisen. Drei Eier und einen Spinnenbiss. Die Hand ist inzwischen wieder auf Kinderhandgröße geschrumpft.
Diese Spinne, diese Schwarze Witwe hat Rant verrückt nach Gift gemacht.
Mrs. Casey ging dann selbst in den Garten, stapfte zwischen den ausgerupften und zerfetzten Blumen umher und fand kein einziges der Ostereier, die sie da versteckt hatte. Ihren Garten konnte sie in diesem Sommer vergessen. Noch eine Woche verging, und Mr. Casey konnte seinen Rasen ebenfalls vergessen.
Echo Lawrence: Was sagt ihr dazu: Rant hat mir erzählt, er hat alle Eier gefunden, sie in eine Schachtel gelegt und irgendwo in einer Scheune oder Hütte versteckt. Und jede Woche, kurz bevor sein Vater den Rasen mähte, schmuggelte er zwei oder drei Eier heraus und legte sie dorthin, wo das Gras am dichtesten war. Die Eier waren inzwischen total schwarz, so verfault, fauler geht's nicht mehr. Und immer wenn sein Vater eins mit dem Elektromäher erwischte, explodierte eine Stinkbombe. Das Zeug klebte überall. Auf dem Rotor, auf dem Gras, auf den Stiefeln und Hosenbeinen seines Vaters. Rants handgemalte Handgranaten waren zu Landminen geworden. Rasen und Garten zu Katastrophengebieten. Rant sagte, der ganze Hof innerhalb des Maschendrahtzauns wurde zum Dschungel. Das Haus war auf allen Seiten von schwarzen Stinkbomben getroffen worden. Die Pflanzen waren so verwildert, dass man die Veranda nicht mehr sehen konnte. Wer vor dem Haus vorfuhr, musste denken, es sei unbewohnt.
Bodie Carlyle: Er hat Eier gefärbt, grau mit einem roten Streifen, wie CS-Gas-ABC-M7A2-Granaten. Hellgrün und oben weiß wie AN-M8-Rauchgranaten. Mrs. Casey füllte das restliche Kochwasser in Flaschen ab. Flaschen mit roter und gelber, blauer und grüner Flüssigkeit, das war alles, was sie von ihrem Garten übrig behalten hatte. Damit sie in der Sonne nicht ausbleichten, stellte sie die Flaschen in das Schränkchen hinten überm Kühlschrank.
In diesem Jahr klaute Rant immer wieder ein paar Tropfen von diesen Farben. Von Sommer bis Weihnachten wühlte er die Unterhosen seines Vaters aus der Schmutzwäsche und tropfte mit einer Pipette gelbe Flecken in den Schritt.
Jedesmal, wenn Mr. Casey sich zum Pinkeln hingesetzt hatte, schüttelte er hinterher seinen Schwanz wer weiß wie lange, um auch noch den allerletzten Tropfen loszuwerden. Und tupfte sich mit einem Stück Klopapier ab. Trotzdem waren jede Woche mehr gelbe Flecken in seinen Unterhosen. Er wäre vor Schreck fast gestorben, als Rant von Gelb zu Rot wechselte.
Echo Lawrence: Als Erwachsener, wenn er sich vor der Arbeit drücken wollte, träufelte Rant sich rote Lebensmittelfarbe in die Augen und erzählte
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