Das Kainsmal
konnten, und fragte mich das stündliche Verkehrsaufkommen und die Stoßzeitenfaktoren ab.
Ich war gerade auf der Rückbank dieses grauen Autos eingeschlafen, als jemand frontal mit uns zusammenkrachte.
Sarah Mercer (
Marketing-Direktorin): Diese junge Frau kam also zu uns, und sie hatte einen verkümmerten Arm, will ich mal sagen. Der Ellbogen war verwachsen, ein bisschen schief, und auch die Hand schien nicht voll ausgebildet. Die Finger waren in die Handfläche gekrallt. Damit hatte sie garantiert nie etwas in die Hand genommen. Das Bein auf dieser Seite war auch kürzer, und wenn sie ging, schien sie bei jedem Schritt mit der Hüfte zu schwingen; jedenfalls betrat sie sehr wankend unser Wohnzimmer.
Sie wäre sehr hübsch gewesen, aber ihre linke Gesichtshälfte war anscheinend irgendwie gelähmt oder was, da hing alles schlaff runter. Wenn die Ärmste zum letzten Wort eines Satzes kam, blieb ihr der Mund offen stehen, während sie mit aller Kraft versuchte, das richtige Wort hervorzupressen. Ein quälender Anblick, und man musste sich sehr zusammenreißen, um ihr nicht ins Wort zu fallen und den Satz selbst zu beenden. Nach einem Glas Merlot erzählte sie uns, ihre Behinderung stamme von einer Gehirnverletzung, zu der es gekommen sei, als ihre Mutter sie einmal an den Kopf geschlagen habe.
Echo Lawrence: Doch. Ich erzähle das den Leuten. Meine Mom hat mich auch wirklich geschlagen. Mein Dad auch, aber nicht so, wie ich es den Leuten suggeriere. Also, im Prinzip habe ich sie geschlagen. Beim Crash-Impuls bei diesem Autounfall bin ich wie eine Rakete von der Rückbank nach vorne geflogen und habe sie beide am Hinterkopf erwischt. Der Polizist am Unfallort hat das nicht so zu Papier gebracht, aber ich habe den beiden das Genick gebrochen. Mein Kopf ist so heftig an den meines Vaters geknallt, dass mir der rechte Schläfenlappen zusammengepresst wurde. Der verkümmerte Arm, den ich jetzt habe, ist noch derselbe, den ich als Achtjährige hatte. Das Bein ist noch ein bisschen gewachsen. Die Aphasie, wenn ich nach Worten suche, also da ist schon etwas Show dabei. Ich tue so, als ob mich das letzte Wort eines Satzes geradezu ersticken würde. Als ob ich das richtige Wort einfach nicht heraus ... bekäme. Diese Spannung sorgt dafür, dass die Leute mir zuhören.
Das Auto, das in uns reinfuhr, war auch grau und war vom Straßenverkehrsamt, genau wie das meiner Mutter. Total verbeult. Frontalzusammenstoß, und den anderen Fahrer hat man nie gefunden. Da war bestimmt was ... gleich habe ich das Wort ...faul.
Sarah Mercer: Das Mädchen war als Waise aufgewachsen und ging mit jedem, der sie fragte. Einer ihrer Freunde begleitete sie zu einem privaten Swingerclub, wo Leute es vor den Augen der anderen miteinander treiben. Er überredete sie, sich im Stehen von ihm nehmen zu lassen, mitten im Raum. Von hinten. Sie ist die erste Frau an diesem Abend, und die Aufmerksamkeit, die sie auf sich ziehen, ist ihr unangenehm. Daher macht sie die Augen fest zu. Ihr Freund hält die ganze Zeit ihre verkümmerte Hand und flüstert ihr auf Deutsch ins Ohr: »Meine kleine Hure ...«
Insgeheim schmeichelt es ihr, derart im Mittelpunkt zu stehen, von Dutzenden fremder Männer beobachtet zu werden. Als sie es hinter sich hat, bemerkt sie, dass sie nicht nur nass vom Schwitzen ist. Zum Glück hat sie die Schuhe anbehalten, denn sie steht in einer regelrechten Pfütze. Das Sperma all dieser Männer trieft an ihr runter. So grotesk sich das anhören mag, aber dieser Abend hat ihr Selbstwertgefühl enorm gesteigert.
Bis dahin hatte sie gar nicht gewusst, dass dieser Freund Deutsch sprach.
Canada Mercer: Wir kamen auf Geschlechtskrankheiten zu sprechen, und sie beteuerte, das sei kein Problem. Die kleine Lawrence erklärte, Oralverkehr sei für Sexarbeiterinnen etwas Alltägliches, das gehöre zum Vorspiel einfach dazu. Sie sagte, der eigentliche Zweck dieser Praxis sei eine Routineuntersuchung des Kunden auf etwaige Krankheiten. Syphilis, sagte sie, schmeckt wie Curryhuhn. Hepatitis schmeckt wie Kalbfleisch mit Kapernsauce. Tripper wie Chips mit Käse-Zwiebel-Geschmack. HIV wie gebuttertes Popcorn. Sie sah meine Frau an und sagte: »Wenn du mich an deiner Möse lecken lässt, kann ich dir sagen, ob du mit Genitalwarzen infiziert bist und ob das Risiko besteht, dass du Gebärmutterkrebs bekommst.« Die meisten Arten von Krebs, sagte sie, schmecken so ähnlich wie Remouladensauce.
Echo Lawrence: Als Erwachsene stellte
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