Das Kainsmal
in bar, damit sie eine Stunde lang Tee mit uns trank. Sarah erzählte ihr immer wieder, wie hübsch sie sei. Wieder eine Woche später komme ich nach Hause, und Sarah wäscht dem Mädchen gerade die Haare über der Küchenspüle. Sarah machte ihr eine Dauerwelle mit blonden Strähnchen und gab ihr sechshundert Dollar für die drei Stunden, die das dauerte.
Wir hofften, wenn es Sarah gelänge, Echos Selbstwertgefühl zu stärken, könnte sie vielleicht einen neuen Beruf finden. Und während wir mit Lob und Preis auf sie einredeten, verloren wir unser Ziel aus den Augen, selbst ein Kind zu bekommen. Das Mädchen kostete so viel und nahm so viel von unserer Zeit in Anspruch, dass ich es mir nicht einmal leisten konnte, einen Hund anzuschaffen. Noch heute sehen wir sie jede Woche. Und ich glaube wirklich, dass wir Fortschritte machen.
Echo Lawrence: Den perfekten Unfall hatte ich dann mit einem Fahrer, der ein totes Reh aufs Dach seines Autos gebunden hatte. Ein Bambikiller. Ein Arschloch in Tarnjacke und Mütze mit Ohrenklappen. Sein Auto eine hässliche große Limousine, das Reh langgestreckt aufs Dach geschnallt, so dass der Kopf oben an der Windschutzscheibe baumelte.
In der Stadt verliert man ein totes Reh nicht so leicht aus den Augen, also halte ich gut Abstand und fahre ihm erst einmal nur nach, warte ab, bis ich eine Stelle finde, wo ich am besten in dieses Mörderschwein reinrauschen kann. Wo ein Unfall nicht den Verkehr behindert oder Passanten gefährdet.
Ich pirsche mich an ihn heran, so wie er sich an dieses arme Tier herangepirscht hat. Warte auf eine günstige Gelegenheit, ihm den Fangschuss zu geben.
Das gibt mir den totalen Kick. Ich bin total aufgedreht. Ich lasse immer ein paar Autos zwischen ihm und mir und muss manchmal noch bei Gelb über die Ampel flitzen. Wenn er abbiegt, lasse ich mich ein wenig zurückfallen und fahre ihm dann hinterher. Und ich lasse immer wieder andere Autos zwischen uns, um nicht aufzufallen, falls er mich im Rückspiegel sieht.
Und dann entwischt er mir. Eine Ampel wird rot, und er fährt einfach durch und biegt rechts ab. Monatelang habe ich gesucht, und jetzt ist es Essig mit meinem perfekten Unfall. Die Ampel wird grün, ich brause um die Ecke, aber da ist keine Spur mehr von ihm. Ich fahre weiter, starre an jeder Kreuzung nach links und rechts in die Querstraßen, spähe überall nach diesem toten Reh, diesem armen ermordeten Tier, aber nein, da ist nichts mehr, nada. Nichts. Meine Uhr zeigte schon fast die morgendliche Sperrstunde an, und ein Strafbefehl über fünfhundert Dollar für den Aufenthalt im Freien bei Tageslicht war das letzte, was mir jetzt noch fehlte.
Sarah Mercer: Wir telefonierten mit den Tyson-Neals, und sie gaben zu, dass auch sie mit diesem Mädchen niemals Sex gehabt hatten. Ausschlaggebend für ihren Entschluss, ein Kind zu bekommen, war, dass es unterm Strich billiger käme, ein eigenes Kind zu haben, als einmal wöchentlich Echos Besuch zu empfangen.
Echo Lawrence: Nun gut. Ich fahre also nach Hause, froh, dass ich immerhin keine Strafe zahlen und keinen zermanschten Jäger hinter seinem Steuer sehen muss - als ich plötzlich wieder das tote Reh vor mir sehe. Das Auto hat die Straße verlassen und steht in der Warteschlange vor einem Fastfood-Restaurant. Im Licht der Leuchtreklame sieht man die vielen Rostflecken. Der Lack ist völlig zerkratzt. Das Auto ist pissgelb, nur die Fahrertür ist himmelblau. Die Kofferraumklappe ist beige. Ich halte am Straßenrand und warte.
Eine Hand reicht eine weiße Tüte durch das Ausgabefenster, und der Fahrer legt ein paar Geldscheine in die Hand. Gleich darauf schleicht das pissgelbe Auto über den Bordstein auf die Straße zurück. Bevor er wieder verschwinden kann, hänge ich mich dicht an ihn dran. Ich ziehe meinen Gurt stramm. Einen Herzschlag bevor ich ihm meine Stoßstange ins Heck ramme, hole ich tief Luft. Dann schließe ich die Augen und gebe Vollgas.
Und wieder nichts, nada. Das Auto vor mir hat beschleunigt und schlängelt sich zwischen anderen durch, so schnell, dass der Schwanz des toten Rehs hin und her wedelt.
In die Jagd vertieft, vergesse ich meinen kaputten Arm und mein zu kurzes Bein. Ich vergesse, dass meine eine Gesichtshälfte nicht lächeln kann. Dass ich ein Waisenkind und ein Mädchen bin. Dass ich eine Nachtgängerin bin und eine lausige Wohnung habe. Das einzige, was ich wahrnehme, ist der Arsch des Rehs da vor mir.
Weit vorne springt eine Ampel auf Rot. Die
Weitere Kostenlose Bücher