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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
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fällt.
    Ein vertrautes Geräusch.
    Er hört auf zu wimmern und lauscht.
    Da, wieder – stürzen, klirren. Näherkommend.
    Akkorde auf einer Langhalsmandoline.
    Ringil kämpft sich auf Hände und Knie hoch, das Herz klopft ihm in der Kehle bei der Musik. Er krabbelt im Schlamm herum, sucht nach der Quelle.
    Da!
    Etwas bewegt sich zwischen den Köpfen auf den Stümpfen, kommt näher. Eine schlanke Gestalt mit breitkrempigem Hut, die langsam, vorsichtig durch den Schlamm schreitet, die Mandoline hoch über sich gehalten wie eine Art Schild. Töne perlen vom Instrument herab, und je näher die Gestalt kommt, desto mehr lässt das Weinen und Jammern der Dwendaopfer nach.
Ringil, der jetzt auf dem Boden kauert, sieht, dass sie alle die Augen schließen und dass ihre Münder sich nicht mehr bewegen, als hätte die Gestalt im Vorübergehen ihnen allen eine tröstende Hand auf die Stirn gelegt.
    Das Lied der Mandoline streckt seine Hand aus, näher jetzt, und Ringil spürt, dass ihm Tränen in die Augen treten. Die Gestalt bleibt vor ihm stehen und hört auf zu spielen. Sie hockt sich vor Ringil hin.
    Hjel, der Habenichts.
    Die Augen unter der Hutkrempe sind älter, und Gil glaubt, mehr Falten in dem wettergegerbten Gesicht zu erkennen, mehr Grau in dem Stoppelbart. Aber der Schalk ist immer noch vorhanden, der abgerissene junge Prinz lebt weiter. Hjel ist immer noch etwas jung.
    »Ringil, was tust du hier draußen, verflucht?«
    Aus Tiefen, deren Besitz er vergessen hat, zieht Ringil ein trostloses Lächeln hervor. Aber seine heisere Stimme bricht.
    »Eine Schuld bezahlen, glaube ich.«
    »Du …« Hjel zupft einen einzelnen Ton am Griffbrett der Mandoline, der über den Sumpf davonhuscht. »Oh, ihr Götter! Gil. Gil! Hast du … hast du nicht verstanden? War ich als Lehrer wirklich nicht gut genug?«
    Ringil zittert erbärmlich im Wind. »Sieht so aus. Noch, jedenfalls.«
    »Gil.« Er stützt sich die Mandoline aufs Knie und berührt Ringils Gesicht mit der Hand. Gil zuckt zurück, er kann nicht anders. »Du bist hier nicht allein. Du bist nicht machtlos. Habe ich dir das nicht gesagt? Du musst nicht hier sein.«
    »Erklär das mal Seethlaw!«, sagte Ringil und würgt bei der Erinnerung, und sein Blick gleitet hinaus zum Horizont. »Er wird schon sehr bald zurück sein.«

    »Und wenn?« Hjel steht auf. »Ich hab’s dir gesagt, Gil; die kalten Legionen hüllen dich bereits ein – und es ist an dir, sie zu befehligen!«
    »Ich sehe keine verfluchten Legionen, Hjel.« Ringil zittert erneut. »Da ist bloß …«
    Er starrt die unendliche Reihe lebendiger Köpfe an, die Tausende, an denen er vorübergestolpert ist, die zehntausend weiteren, die sich bis zum Horizont erstrecken …
    »Nein«, sagte er benommen.
    »Ja, Gil. Ja. Jetzt erhebe dich!«
    Hjel bietet ihm seine lange Hand an – Gil packt sie und zieht sich hoch. Die beiden stehen zusammen, dicht an dicht. Der Wind ist kalt auf seinem Gesicht, aber der Prinz der Habenichtse nimmt ihm etwas von seiner Gewalt. Er lächelt Gil grimmig an. Klopft ihm mit der freien Hand auf die Schulter.
    »Verstehst du es jetzt?«
    »Nein.« Den Kopf schütteln wie in Trance. »Nein.«
    »Du bist durch das dunkle Tor gekommen, Gil. Es ist bereits geschehen. Die Aldrainer wissen es nicht, Kwelgrish und Dakovash haben es tief vergraben, aber es ist geschehen, es ist bezahlt dafür.«
    Flackernde Schatten am Rand seines Sichtfelds. Wieder sah er sie, auf der Mole neben einem früheren Hjel stehend. Sah sie zu ihm herüberreichen wie Wolkenschatten über aufgewühltem Wasser. Sah sie aus dem düsteren Glanz der Straßen in Hinerion heraussickern.
    Draußen im Sumpf, sagt die erste Stimme, der Junge. Salz im Wind.
    Er spürt einen frischen Puls in seiner Kehle schlagen. Er blickt sich um, schaut auf die Geopferten und die weinenden Verlassenen, zu Zehntausenden versammelt.

    Du nimmst besser die Beine in die Hand, sagt die zweite Stimme, aber er weiß mit einer jähen warmen Zuversicht, dass die Warnung nicht ihm gilt. Er spürt eine wachsende Stärke in seinen Händen, die jetzt wie eiserne Werkzeuge sind, und die Kälte wird von ihm abgeflämmt und ersetzt durch ein Brennofenfeuer im Innern. Er sieht Hjel an und erkennt nach wie vor im Schatten der Hutkrempe das angespannte Grinsen auf dem Gesicht des Lumpensammler-Prinzen.
    Sehr weit entfernt glaubt er Seethlaw heulen zu hören.
    Er fletscht die Zähne, wie als Antwort.
    Sehe ich etwa wie ein verdammter Sklave für dich aus, fragt

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