Das Karpathenschloß
ihrer Kunst, ihren Erfolgen und der Vergötterung durch alle Theaterfreunde abwendig machte. Ja es kam sogar zu persönlichen Drohungen gegen Franz von Telek, um die sich der junge Mann indeß nicht im geringsten kümmerte.
Wenn eine solche Aufregung in weiteren Kreisen herrschte, kann man sich wohl vorstellen, was Rudolph von Gortz bei dem Gedanken empfinden mußte, daß la Stilla ihm entrissen werden, daß er damit Alles verlieren sollte, was ihn an das Leben fesselte. Man raunte sich schon zu, daß er mit Selbstmordgedanken umgehe. Gewiß war nur das Eine, daß man Orfanik nicht länger in den Straßen Neapels umherwandern sah. Er wich nicht mehr von Baron Rudolphs Seite, erschien dagegen sogar mehrmals mit in der Loge des San Carlo, die der Baron für jede Opernvorstellung belegt hatte – und das war dem Manne niemals begegnet, da dieser, wie so viele andere Gelehrte, für den Reiz der Musik jedes Verständnisses entbehrte.
Inzwischen verstrich ein Tag nach dem anderen, die Erregung beruhigte sich aber nicht, ja sie erreichte ihren Höhepunkt an dem Abend, wo la Stilla zum letzten Male auftreten sollte. In der prächtigen Rolle der Angelica, im »Orlando«, dem schönsten Werke des Maestro Arconati, gedachte sie den Zuhörern das letzte Lebewohl zu sagen.
An dem betreffenden Abende erwies sich das San Carlo-Theater um das Zehnfache zu klein für alle die Schaaren, die sich vor seinen Pforten drängten und deren größter Theil unverrichteter Sache umkehren mußte. Man befürchtete Kundgebungen gegen den Grafen von Telek, wenn auch nicht während des Gesanges der Gefeierten, so doch, wenn nach dem fünften Acte der Oper der Vorhang herabsinken würde.
Der Baron von Gortz hatte in seiner Loge Platz genommen, und auch diesmal befand sich Orfanik an seiner Seite.
La Stilla erschien, aber aufgeregter als je. Sie wußte sich jedoch zu fassen, überließ sich ganz ihrer Eingebung und sang… sang mit solcher Vollendung, mit so unvergleichlicher Begabung, daß es jeder Schilderung spottet. Die unbeschreibliche Begeisterung, die sich der Zuhörer bemächtigte, steigerte sich fast bis zum Wahnwitz.
Während der Vorstellung befand sich der junge Graf hinter der Bühne; dort wartete er ungeduldig, nervös, fast fieberhaft erregt, verwünschte, seiner selbst nicht mehr Herr, die Länge der einzelnen Auftritte und ereiferte sich über die Verzögerungen durch den nie endenwollenden Beifall und die Hervorrufe aus allen Rängen des Hauses. O wie drängte es ihn, die Eine, die nun Gräfin von Telek werden sollte, dem Theater zu entreißen, sie weit, weit hinweg zu führen, so weit, daß sie ihm… nur ihm allein angehörte.
Endlich kam der tief ergreifende Auftritt, in dem die Heldin des »Orlando« stirbt. Niemals vorher erschien die prächtige Musik Arconati’s packender, niemals verlieh ihr la Stilla einen so leidenschaftlichen Ausdruck. Ihre ganze Seele schien auf den Lippen der Künstlerin zu schweben… Und doch… es machte den Eindruck als ob diese, dann und wann kurz absetzende Stimme brechen wollte, diese Stimme, die nun für immer verstummen sollte.
In diesem Augenblick sank das Gitter vor der Loge des Barons von Gortz herunter. Ein merkwürdiger Kopf mit langem halbgrauen Haar und flammenden Augen wurde sichtbar, das Gesicht zeigte eine erschreckende Blässe, und Franz von Telek, dem das noch nie begegnet war, sah die Erscheinung von seinem Standpunkte hinter den Coulissen in vollem Lichte.
Ein merkwürdiger Kopf mit langem grauem Haar. (S. 127.)
La Stilla ließ sich von dem begeisternden Feuer der unvergleichlichen Schlußarie mit hinreißen… Sie sang gerade mit überirdischem Ausdrucke die Worte:
Innamorata, mio cuore tremante,
Voglio morire…
Beide durchstreiften dann die Pässe. (S. 132.)
Plötzlich schweigt sie still. Das Gesicht des Barons von Gortz macht sie erstarren… Ein furchtbares Entsetzen lähmt sie… Sie führt die Hand nach dem Munde, der sich mit Blut röthet… sie strauchelt… sinkt zusammen…
Die Zuhörerschaft springt in die Höhe… bebend… verwirrt… sinnlos vor Angst…
Aus der Loge des Barons von Gortz dringt ein schriller Aufschrei hervor.
Franz stürmt auf die Scene, er nimmt la Stilla in die Arme… hebt sie auf… starrt sie an… ruft sie mit Namen…
»Todt!… Todt!… schreit er, todt!«
La Stilla weilt nicht mehr unter den Lebenden… In ihrer Brust ist eine Ader gesprungen… Ihr Gesang verstummte mit ihrem letzten Seufzer!
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