Das Karpathenschloß
gänzlich zu verachten.
Der Graf befand sich hinter der Bühne. (S. 127.)
Niemand erfuhr etwas von seiner Familie, von seiner Stellung oder Vergangenheit. Man sah den Mann heute in Rom und morgen in Florenz, doch wohl zu merken, nur je nachdem la Stilla in Rom oder in Florenz auftrat. Man kannte von ihm nur eine Leidenschaft: die berühmte Primadonna zu hören, die damals den allerersten Platz in der Kunst des Gesanges einnahm.
Lebte Franz von Telek für la Stilla erst seit dem Tage, wo er sie in jenem Theater Neapels gesehen hatte, so lebte jener excentrische Kunstfreund schon seit sechs Jahren nur dafür, sie zu hören, und es schien wirklich, als sei die Stimme der Sängerin für seine Existenz ebenso nothwendig geworden, wie die Luft, die er athmete. Dabei hatte er ihr niemals anderswo zu begegnen gesucht als auf der Bühne; niemals sich ihr vorgestellt oder sich schriftlich an sie gewendet. Allemal aber, wenn la Stilla in einem beliebigen Theater Italiens singen sollte, sah man in das nämliche einen hochgewachsenen Mann mit langem dunklen Ueberrock und einem das Gesicht beschattenden Hute eintreten. Dieser Mann nahm schleunigst in einer vorher für ihn bestellten vergitterten Loge Platz. Hier blieb er abgeschlossen, einsam und schweigend während der ganzen Vorstellung sitzen. Sobald aber la Stilla’s letzte Töne verklungen waren, eilte er davon, ohne daß irgend ein anderer Sänger oder eine andere Sängerin ihn hätte zurückhalten können; er hätte diesen überhaupt kein Ohr geliehen.
Vergebens hatte la Stilla zu erfahren gesucht, wer dieser übereifrige Bewunderer ihrer Leistungen wohl sein möge. Bei ihrer sehr empfindsamen Natur erschrak sie schließlich über die fortwährende Anwesenheit des wunderlichen Mannes – ein Schrecken, der übrigens ebenso grundlos war, wie sie sich dessen doch nicht zu erwehren vermochte. Obwohl sie ihn in seiner Loge, deren Gitter stets hochgezogen blieb, nicht selbst sehen konnte, wußte sie, daß er sich darin befand, fühlte sie seinen auf sie gerichteten durchbohrenden Blick und wurde dadurch so erregt, daß sie nicht einmal den Jubel der Zuschauer hörte, der sie bei ihrem Erscheinen begrüßte.
Wir erwähnten bereits, daß sich dieser Sonderling la Stilla niemals vorgestellt hatte. Unterließ er aber jeden Versuch, das »Weib« kennen zu lernen – wir legen hierauf besonderes Gewicht – so blieb doch Alles, was ihn an die »Künstlerin« erinnern konnte, das Endziel seiner nie erlahmenden Aufmerksamkeit. So besaß er eines der schönsten Porträts, die der große Maler Michel Gregorio von der Künstlerin hergestellt hatte, in dem sie mit ihrer ganzen Leidenschaftlichkeit, selbst erbebend und doch erhaben und völlig in ihrer Rolle aufgegangen, wiedergegeben war, und dieses mit Gold aufgewogene Bild hatte in der That den von dem Kunstenthusiasten dafür bezahlten Werth.
Blieb dieser seltsame Mann stets allein, wenn er bei den Vorstellungen la Stilla’s seine Loge einnahm, und verließ er sonst niemals seine Wohnung, außer um sich nach dem Theater zu begeben, so darf man daraus doch nicht schließen, daß er vollständig als Einsiedler dahinlebte. Nein, ein Gefährte, freilich nur ein nicht minder verschrobener Mann, theilte seine Gesellschaft.
Dieses Individuum nannte sich Orfanik. Wie alt er war, woher er kam und wo er das Licht der Welt erblickt hatte – das hätte kein Mensch sagen können. Wenn man ihn hörte – denn er plauderte recht gern – hielt man den Mann wohl für einen verkannten Gelehrten, dessen Licht unter dem Scheffel brennen mochte und der die Welt mit widerwilligem Auge ansah. Man vermuthete nicht ohne Grund, er werde so ein armer Teufel von Erfinder sein, der gemächlich auf Kosten der Börse des reichen Kunstfreundes lebte.
Orfanik war von Mittelgröße, hager, sah kränklich und abgezehrt aus und hatte eines jener bleichen Gesichter, die man in der Sprache früherer Zeit als die eines »Erzknickers« bezeichnete. Als besonderes Kennzeichen trug er eine künstliche schwarze Ohrmuschel an Stelle des rechten Ohres, das er bei irgend einem physikalischen oder chemischen Experimente verloren haben mochte, und auf der Nase eine mächtige Brille, deren einziges myopisches Glas für das in grünlichem Glanze leuchtende linke Auge diente. Während seiner einsamen Spaziergänge fuchtelte er mit den Armen umher, als spräche er mit einem unsichtbaren Wesen, das ihm wohl zuhörte, doch niemals antwortete.
Diese beiden Gestalten,
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