Das Karpathenschloß
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Der junge Graf wurde nach seinem Hôtel in einem Zustande geschafft, der für seinen Verstand fürchten ließ. Er war außer Stande, dem Begräbnisse la Stilla’s beizuwohnen, das unter einem nie dagewesenen Zulauf aus allen Volksschichten Neapels stattfand.
Auf dem Campo Santo Nuovo, wo die Sängerin beerdigt wurde, liest man auf einfachem weißen Marmorblocke nur den Namen
La Stilla.
Am Abende des Begräbnißtages erschien ein Mann auf dem Campo Santo Nuovo. Mit irrem Blick, herabgesunkenem Haupte und so fest geschlossenen Lippen, als hätte der Tod sie schon versiegelt, starrt er lange Zeit auf die Stelle, unter der la Stilla für immer schlummerte. Er scheint zu lauschen, als ob die Stimme der Künstlerin noch einmal aus dem Grabe herauftönen solle…
Rudolph von Gortz war der schweigsame Besucher.
Noch in derselben Nacht verließ der Baron von Gortz in Begleitung Orfanik’s Neapel, und seit dieser Zeit hätte Niemand sagen können, was aus ihm geworden war.
Am folgenden Morgen aber erhielt der junge Graf einen an ihn gerichteten Brief eingehändigt.
Dieser Brief enthielt nur in kurzer drohender Fassung die Worte:
»Du bist es, der sie getödtet hat! Und Wehe über Dich, Graf von Telek!«
Rudolph von Gortz.«
Zehntes Capitel.
Das war das Trauerspiel des Lebens unseres Franz von Telek.
Einen Monat lang schwebte er in höchster Gefahr; der junge Graf erkannte Niemand – nicht einmal seinen getreuen Rotzko. Als er im hitzigsten Fieber lag, entschlüpfte seinen Lippen, die bald den letzten Seufzer auszuhauchen drohten, nur noch ein Name: der la Stilla’s.
Und doch entrann der Graf dem Tode. Die Kunst der Aerzte, die sorgfältige Pflege durch Rotzko und auch seine Jugend und die heilende Kraft der Natur retteten ihm noch einmal das Leben. Auch sein geistiges Vermögen ging ungeschmälert aus dieser entsetzlichen Erschütterung hervor. Doch als er sich wieder zu erinnern begann, als er sich die tragische Schlußscene aus dem »Orlando«, mit der die Seele der Künstlerin dieser Erde entflohen war, ins Gedächtniß zurückrief, da schluchzte er laut:
»Stilla!… Meine Stilla!« und die hageren Hände streckten sich vor, als wollte er ihr noch einmal Beifall zujubeln.
Sobald sein Herr das Bett verlassen konnte, erhielt Rotzko den Auftrag, Alles vorzubereiten, um die traurige Stätte zu verlassen und geraden Weges nach Krajowa zurückzukehren. Bevor er aber von Neapel Abschied nahm, wollte der Graf noch einmal am Grabe der Dahingeschiedenen beten und ihr einen letzten Abschiedsgruß – für immer – bringen.
Rotzko begleitete ihn nach dem Campo Santo Nuovo. Franz warf sich auf die grausame Erde, die sein Theuerstes verschlungen hatte; er versuchte sie mit den Nägeln aufzuwühlen, um auch sich darin zu begraben…. Nach langem Bemühen gelang es Rotzko, ihn von dem Grabe wegzuziehen, worin sein Erdenglück ruhte.
Nach wenig Tagen in Krajowa eingetroffen, hatte Franz von Telek den alten Stammsitz seiner Familie im Walachenlande wiedergesehen. Hier im Schlosse, das zu verlassen er sich hartnäckig weigerte, lebte er volle fünf Jahre in ungestörter Einsamkeit. Weder Zeit noch Entfernung hatten seinen Schmerz zu lindern vermocht. Er hätte gerade müssen vergessen können, und das war ihm unmöglich. Die noch immer wie am ersten Tage lebendige Erinnerung an la Stilla war einmal mit seinem Seelenleben verwachsen. Es giebt ja Wunden, die sich nur mit dem Tode schließen.
Zur Zeit jedoch, mit der unsere Erzählung beginnt, hatte der junge Graf das Schloß seit einigen Wochen verlassen, freilich erst nach langen dringenden Bitten Rotzko’s, der ihn dieser allmählich tödtlichen Einsamkeit entreißen wollte. Wenn Franz dadurch auch keinen eigentlichen Trost fand, so sollte er wenigstens seinen Schmerz zeitweise betäuben lernen.
So wurde denn ein Reiseplan festgestellt, um zunächst die transsylvanischen Länder zu besuchen. Später – so hoffte Rotzko – werde sich der Graf auch bestimmen lassen, die durch jene traurigen Vorkommnisse in Neapel unterbrochene Fahrt durch Europa wieder aufzunehmen.
Franz von Telek war also, diesmal nur als Tourist, zu kurz bemessenem Ausfluge abgereist. Mit Rotzko hatte er die walachischen Ebenen bis zu dem mächtigen Gebirgsstocke der Karpathen durchzogen. Beide durchstreiften dann die Pässe und Thäler des Vulcan, und nach Besteigung des
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