Das Karpathenschloß
wie etwa in einem früher Blinden das Verständniß für den Begriff des Lichtes. Für die Wunderpracht der Kunst jetzt in höchstem Maße empfänglich, begeisterte er sich im Anblick von Meisterwerken der Malerei, wenn er die Museen von Neapel, Venedig, Florenz und Rom besuchte. Gleichzeitig hatte er durch die Theater die dramatische Literatur der Zeit kennen gelernt und sich mit Leidenschaft in der Beurtheilung der Leistungen vieler Bühnenkünstler ausgebildet.
Da ereignete es sich während seines letzten Verweilens in Neapel und unter in Folgendem zu schildernden außergewöhnlichen Umständen, daß in sein Herz ein tieferes Gefühl, eine bisher ungekannte Theilnahme nicht für die Bühne allein einzog.
Gerade zu jener Zeit trat im San Carlo-Theater eine berühmte Sängerin auf, deren silberhelle Stimme, vollendeter Vortrag und vorzügliches Spiel die Bewunderung der Dilettanten erweckten. Bisher hatte la Stilla noch niemals nach dem Beifalle des Auslandes gestrebt und sang ausschließlich italienische Musik, die bezüglich der Compositionskunst die erste Stelle einnahm. Das Theater Carignan in Turin, die Scala in Mailand, das Theater Alsieri in Florenz, das Apollotheater in Rom und San Carlo in Neapel wechselten im zeitweiligen Besitz der Sängerin ab, und bei den hier geernteten Triumphen kam dieser niemals ein Bedauern an, auf den anderen großen Bühnen Europas noch nicht geglänzt zu haben.
Die jetzt fünfundzwanzigjährige Stilla war ein Weib von berückender Schönheit mit langem goldigen Haar, schwarzen, unergründlichen Augen, aus denen Flammen hervorzuzucken schienen, mit tadellos reinen Gesichtszügen, warmem Teint und einer Gestalt, die der Meißel eines Praxiteles nicht hätte vollkommener formen können. Und diese Frau erblühte zur seltensten Künstlerin, zu einer zweiten Malibran, von der Musset ebenfalls hätte sagen können:
»Auf deiner Töne Schwingen flog der Schmerz hinauf zum Himmel!«
Eine solche Stimme aber, die der allbeliebte Dichter in seinen unsterblichen Stanzen gefeiert hat:
»… des Herzens eigne Stimme, die allein zum andren Herzen dringt«, eine solche Stimme war die la Stilla’s in ihrer ganzen unbeschreiblichen Herrlichkeit.
Die große Künstlerin, die mit so unnachahmlicher Treue die Töne der zärtlichsten Liebe, der mächtigsten Seelenerregungen wiedergab, hatte – wie man allgemein behauptete – im eigenen Herzen doch noch nie deren himmlische Macht verspürt. Noch nie hatte sie geliebt, nie mit dem Auge einen jener Tausende von Blicken beantwortet, die auf der Bühne unausgesetzt an ihr hingen. Es schien, als lebte sie nur in ihrer Kunst, einzig und allein für diese.
Gleich zum erstenmale, wo Franz la Stilla sah, fühlte er sich von dem unwiderstehlichen Zwange einer ersten Liebe zu ihr hingezogen. Sofort beschloß er, unter Verzichtleistung auf sein Vorhaben, nach dem Besuche Siciliens Italien endgiltig zu verlassen, jetzt bis zum Schlusse der Saison in Neapel zu bleiben. Als ob ein unsichtbares Band, das er nicht zu sprengen vermochte, ihn an die Sängerin fesselte, wohnte er allen Vorstellungen bei, worin sie auftrat und die eine maßlose Begeisterung der Zuhörer stets zu wirklichen Triumphen gestaltete. Mehrmals, wenn er seine Leidenschaft nicht zu bemeistern im Stande war, hatte er versucht, bei la Stilla Zutritt zu erlangen; deren Thür blieb jedoch für ihn, wie für andere fanatische Anbeter der Künstlerin, unerbittlich geschlossen.
Der junge Graf verfiel hierdurch erklärlicherweise bald einem recht beklagenswerthen Zustande. Da er nur noch la Stilla’s gedachte, nur lebte, um sie zu sehen und zu hören, ohne daß es ihm einfiel, in der Gesellschaft sonstige Verbindungen zu suchen, zu denen ihn Name und Geburt eigentlich fast verpflichteten, wurde seine Gesundheit in Folge jener unablässigen Spannung des Herzens und des Geistes bald ernsthaft erschüttert. Was würde er erst gelitten haben, wenn er gar noch einen Rivalen gehabt hätte! Doch er wußte ja, daß ein derartiger Verdacht grundlos wäre – sogar bezüglich einer seltsamen Persönlichkeit, die wir hier etwas eingehender zeichnen müssen, weil sie in den Verlauf dieser Erzählung bedeutungsvoll eingreift.
Es war das zur Zeit der letzten Reise Franz von Telek’s nach Neapel ein Mann von fünfundfünfzig Jahren – für so alt schätzte man ihn wenigstens allgemein. Diese sehr verschlossene Persönlichkeit schien die in den höheren Classen geltenden gesellschaftlichen Forderungen
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