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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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konnte ja wohl nicht schaden...
    Sie war winzig gewesen, die Kostprobe – und dennoch wurde ich davon ganz und gar überwältigt. Alles, was ich in meinem Leben je geschmeckt hatte, und noch unendlich viel mehr jagte durch meinen Körper und überrollte mich wie eine Flutwelle der Lust. In einem Zeh war plötzlich klarer Erdbeergeschmack, in einer Haarlocke der Geschmack von Pfirsich oder Banane, im linken Ellbogen tobte der Geschmack von Birnensaft, und meine Nase roch betörendes Parfüm.
    Es schmeckte so gut, daß ich viele Minuten lang regungslos stand. Wenn ich nun das Gewimmel der Zwerge in ihren bunten Gewändern sah, kamen sie mir vor wie meine eigenen Phantasiegeschöpfe. Einen Augenblick schien es, als hätte ich mich tief in meinem Kopf verirrt; im nächsten dachte ich, die Phantasiegeschöpfe seien vielleicht aus meinem Kopf herausmarschiert, aus Protest, weil sie von kleinlichen Bedenken zurückgehalten wurden.
    Mir kamen noch viele andere schlaue und seltsame Gedanken; es war, als würden sie aus meinem Kopf herausgekitzelt – ich beschloß unwiderruflich, die Flasche nie mehr herzugeben. Und wäre sie einmal leer, würde ich alles daransetzen, sie wieder zu füllen. Nichts auf dieser Welt erschien mir wichtiger, als immer genug von diesem glitzernden Getränk zu haben.
    „Hat es... gut oder schlecht geschmeckt?“ fragte der Joker und grinste breit.
    Erst jetzt sah ich seine Zähne. Auch wenn er lächelte, konnte ich die Schellen an seinem Clownsgewand leise klingeln hören. Mir schien, als stünde jedes seiner Zähnchen in einer Art Verbindung mit einem dieser Glöckchen.
    „Ich nehme noch einen Schluck“, sagte ich.
    Im selben Augenblick kam Frode in den Saal gestürzt. Er stolperte über Pik Zehn und den Pik König, ehe er dem Joker die Flasche aus der Hand reißen konnte.
    „Du Schuft!“ brüllte er.
    Die Zwerge sahen kurz zu uns auf, dann tanzten und lärmten sie weiter.
    Ich entdeckte plötzlich, daß das Brötchenbuch zu rauchen begann. Und schon spürte ich, wie auch die Haut eines meiner Finger brannte. Ich warf Buch und Lupe von mir, und ein paar Leute in meiner Nähe starrten mich an, als wäre ich von einer giftigen Schlange gebissen worden.
    »No problem!« sagte ich und hob Lupe und Buch wieder auf.
    Die Lupe hatte nur wie ein Brennglas gewirkt. Ich schlug das Brötchenbuch wieder auf und sah, daß auf der letzten Seite, die ich gelesen hatte, ein dicker Brandfleck war. Aber noch etwas anderes brannte nun, eine lange Lunte nämlich. Es ließ sich nicht länger wegdiskutieren, daß vieles von dem, was in dem Brötchenbuch stand, ein Echo meiner eigenen Erlebnisse war.
    Ich wiederholte flüsternd einige der Sätze, die die Zwerge auf der Insel aufgesagt hatten: »Vater und Sohn suchen schöne Frau, die sich nicht selber findet... Die Lupe paßt in die Kerbe vom Goldfischglas... Goldfisch verrät nicht Inselgeheimnis, wohl aber Brötchen... Die Patience ist ein Sippenfluch...«
    Nein, da war kein Zweifel mehr möglich: Es bestand ein geheimnisvoller Zusammenhang zwischen meinem Leben und dem Brötchenbuch. Wie das sein konnte, war mir schleierhaft. Fest stand nur, daß nicht nur Frodes Insel magisch war: Das kleine Brötchenbuch selber war ein magisches Schriftstück.
    Einen Augenblick lang fragte ich mich, ob sich das Buch vielleicht mit meinem Leben und meinen Erlebnissen mitverfaßte. Aber als ich weiterblätterte, sah ich, daß es schon bis zu Ende geschrieben war.
    Obwohl es so heiß war, wurde mir plötzlich seltsam kalt.
    Als Vater endlich zurückkam, sprang ich von dem Stein auf und stellte ihm drei, vier Fragen über die Akropolis und die alten Griechen auf einmal. Ich mußte einfach auf andere Gedanken kommen.

KARO ACHT
    ... wir werden herbeigezaubert und wieder weggejuxt...
    Auf dem Rückweg passierten wir noch einmal den großen Eingang zur Akropolis. Diesmal blieb Vater lange stehen und blickte auf die Stadt. Er zeigte auf einen Hügel namens Areopag. Dort hatte einst der Apostel Paulus den Athenern eine lange Rede über einen ihnen unbekannten Gott gehalten, der in keinem von Menschenhand erbauten Tempel wohnte.
    Unterhalb des Areopags lag der alte Marktplatz von Athen. Er hieß »Agora«; dort waren die großen Philosophen in den Säulengängen gewandelt und hatten nachgedacht. Aber wo einst schöne Tempel, Schreibstuben und Gerichtssäle gewesen waren, gab es nun nur noch Ruinen; einzig und allein der alte Tempel des Schmiedegottes Hephaistos stand noch auf einer

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