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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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werden jetzt die Sätze vorgetragen!“ erklärte der Joker.
    Und schon sagten alle Zwerge auf einmal ihren Satz. Zweiundfünfzig Stimmen summten ein paar Sekunden lang wie ein Bienenschwarm. Dann trat Totenstille ein, als wäre schon alles zu Ende.
    „Das passiert jedesmal“, flüsterte Frode. „Und das Ergebnis ist natürlich, daß jeder nur sich selber hört.“
    „Vielen Dank für soviel Aufmerksamkeit“, sagte der Joker. „Und nun noch einmal jeden Satz für sich! Wir beginnen mit Karo As.“
    Schon erhob sich die kleine Prinzessin, strich sich die silbrig glänzenden Haare aus der Stirn und sagte: „Das Schicksal ist ein Blumenkohl, der wächst an allen Seiten gleich.“
    Damit setzte sie sich wieder – mit glühendroten Flecken auf den bleichen Wangen.
    „Ein Blumenkohl, also...“ Der Joker kratzte sich am Kopf. „Das waren... kluge Worte. Und nun Karo Zwei!“
    Karo Zwei sprang auf und sagte: „Die Lupe paßt in die Kerbe vom Goldfischglas.“
    „Ach ja?“ kommentierte der Joker. „Noch praktischer wäre es natürlich, wenn du uns auch verraten könntest, welche Lupe zu welchem Goldfischglas paßt. Aber das kommt noch, es kommt noch! Denn die ganze Wahrheit läßt sich nicht in zwei Karos pressen. Die nächste bitte!“
    Nun erhob sich Karo Drei.
    „Vater und Sohn suchen schöne Frau, die sich nicht selber findet“ , schluchzte sie und brach in Tränen aus. Mir fiel ein, daß ich sie schon früher hatte weinen sehen.
    Der Karo König tröstete sie, und der Joker sagte: „Und warum findet sie sich selber nicht? Nun, das weiß man erst, wenn alle Patiencekarten mit der Bildseite nach oben liegen. Die nächste!“
    So folgte ein Karo nach dem anderen.
    „In Wahrheit hat Glasbläsermeistersohn seine eigenen Phantasien zum Narren gehalten“ , sagte die Sieben, und mir fiel ein, daß sie in der Glashütte schon einmal genau dasselbe gesagt hatte.
    „Die Figuren werden aus dem Jackenärmel des Zauberkünstlers geschüttelt und entdecken sich selber quicklebendig in der Luft“ , behauptete die Neun. Sie war diejenige, die gern einen Gedanken gedacht hätte, der so schwierig war, daß sie ihn gar nicht denken konnte . Ich fand, daß sie ziemlich gut in dieser Kunst war.
    Schließlich sagte der Karo König: „ Die Patience ist ein Sippenfluch.“
    „Sehr interessant!“ rief der Joker. „Schon nach dem ersten Viertel sind viele wichtige Teile an ihrem Platz. Sieht man schon die Tiefe des Ganzen?“
    Hier und dort wurde geflüstert, aber nun sprach der Joker weiter: „Es fehlen noch drei Viertel des Schicksalkreises. Nun zu Kreuz!“
    „Das Schicksal ist eine Schlange, so hungrig, daß sie sich selber verschlingt“ , sagte Kreuz As.
    „Goldfisch verrät nicht Inselgeheimnis, wohl aber Brötchen“ , fuhr Kreuz Zwei fort. Man merkte, daß ihm dieser Satz schon lange auf der Zunge gelegen hatte, und mir wurde klar, warum er mit ihm draußen auf dem Feld noch kurz vor dem Einschlafen herausgeplatzt war: Er hatte Angst gehabt, ihn zu vergessen.
    Der Joker rief der Reihe nach alle Zwerge auf, erst den Rest Kreuz, dann Herz und zum Schluß Pik.
    „Die innere Schachtel packt die äußere Schachtel aus, und die äußere Schachtel packt die innere Schachtel aus“ , sagte Herz As, genau wie bei unserer Begegnung im Wald.
    „Eines schönen Morgens klettern König und Bube aus dem Kerker des Bewußtseins.“
    „Brusttasche verbirgt Kartenspiel, das in der Sonne trocknen soll.“
    Die Zwerge erhoben sich so schnell, daß ich kaum folgen konnte. Jeder sagte seinen Satz, und einer war sinnloser als der andere. Einige flüsterten nur, andere lachten, einige deklamierten, als sagten sie ein Gedicht, und einige schluchzten oder weinten. Das Ganze aber – sofern davon bei dieser verwirrenden und zerrissenen Tischrede überhaupt die Rede sein konnte – besaß weder Sinn noch Zusammenhang. Dennoch gab der Joker sich alle Mühe, sich die Sätze und ihre Reihenfolge zu notieren.
    Der letzte war der Pik König. Er musterte den Joker mit einem durchbohrenden Blick und sagte: „Wer das Schicksal durchschauen will, muß es überleben.“
    Ich weiß noch, daß ich diesen Satz für einen der klügsten hielt, der gesagt worden war, und das schien auch der Joker zu finden: Er applaudierte ihm so heftig, daß sich seine Glöckchen anhörten wie ein ganzes Schrammelorchester. Ich sah Frode traurig den Kopf schütteln. Dann standen wir auf und gingen zu den Zwergen, die offenbar nicht mehr stillsitzen konnten und

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