Das Kartengeheimnis
Philosoph war. Und ich glaubte, selber den alten Griechen wenigstens ein bißchen nähergekommen zu sein. An irdischen Gütern hatten sie uns nicht viel hinterlassen, aber ihre Gedanken lebten immer noch.
Am Ende zeigte mein Vater mir, wo Sokrates eingekerkert gewesen war, ehe er den Schierlingsbecher leeren und sterben mußte. Ihm war vorgeworfen worden, die Jugend zu verderben. Aber in Wahrheit war er nur der einzige Joker in Athen gewesen.
KARO NEUN
... wir sind alle vom selben Geschlecht...
Als wir die Akropolis und den alten Marktplatz hinter uns gelassen hatten, gingen wir durch enge Geschäftsstraßen zum Syntagmaplatz vor dem großen Parlamentsgebäude. Unterwegs kaufte Vater ein interessantes Kartenspiel und riß es auch gleich auf, um den Joker herauszuziehen, ehe er mir den Rest gab.
Wir aßen in einer der vielen Tavernen auf dem großen Platz. Nach dem Kaffee erklärte Vater, er werde jetzt gleich ein paar Untersuchungen wegen Mama anstellen. Weil nach der langen Wanderung in den Fußstapfen der alten Griechen meine Füße reichlich müde waren, durfte ich im Café sitzen bleiben, während er telefonieren ging und bei einer Modeagentur vorbeischauen, die offenbar in der Nähe lag.
Als er gegangen war, saß ich also allein auf dem großen Platz, wo es von Menschen nur so wimmelte. Ich beschloß, ein Experiment zu machen: Ich legte alle Karten des neuen Spiels auf den Tisch und versuchte, jeder Karte einen kleinen Satz zuzuordnen. Dann versuchte ich, die Sätze zu einem großen Märchen aneinanderzureihen. Aber ohne Bleistift und Papier war das so verwirrend, daß ich nach einigen Versuchen aufgab.
Statt dessen griff ich wieder zu der Lupe und dem Brötchenbuch und las weiter. Ich war sicher, daß eine entscheidende Wendung im Geschehen unmittelbar bevorstand. Denn nun würde der Joker all die sinnlosen Sätze zusammenfügen, die sich die Zwerge ausgedacht hatten. Vielleicht verstand ich danach auch den Zusammenhang zwischen mir selber und den seltsamen Dingen besser, die der Bäcker-Hans vor langer, langer Zeit einem gewissen Albert erzählt hatte.
Was ich aus der kleinen Flasche getrunken hatte, tat meinem ganzen Körper gut; nun spürte ich sogar den Boden unter meinen Füßen beben. Es war, als befände ich mich wieder auf See.
„Wie konntest du ihm bloß die Flasche anbieten?“ hörte ich Frode fragen.
Und ich hörte den Joker antworten: „Ganz einfach: Er hat mich so sehr darum gebeten!“
Ganz sicher bin ich mir allerdings nicht, daß er das sagte, denn im nächsten Augenblick war ich eingeschlafen. Als ich wieder erwachte, stand Frode über mir. Ich merkte, wie er mich vorsichtig in die Seite trat.
„Du mußt aufwachen!“ sagte er. „Gleich wird der Joker das große Rätsel lösen!“
Ich sprang auf.
„Welches Rätsel?“
„Das Jokerspiel, du weißt doch noch. Jetzt fügt er alle Sätze zu einer Geschichte zusammen.“
Nun sah ich, daß der Joker die Zwerge sich in einer bestimmten Reihenfolge aufstellen ließ. Sie bildeten wieder einen großen Kreis, aber diesmal wurden die Farben wild durcheinandergewürfelt. Dafür sah ich schnell, daß alle gleichen Zahlen nebeneinanderstanden.
Der Joker kletterte wieder auf seinen hohen Stuhl, und Frode und ich setzten uns ebenfalls.
„Buben!“ rief Joker. „Ihr stellt euch zwischen die Könige und Zehnen. Die Damen stehen zwischen den Königen und den Assen.“
Er kratzte sich zweimal am Kopf, ehe er fortfuhr: „Kreuz Neun und Karo Neun tauschen die Plätze.“
Worauf die zottige Kreuz Neun nach vorn trottete und den Platz der zierlichen Karo Neun einnahm, die ihrerseits an die Stelle der Kreuz Neun trippelte.
Der Joker nahm noch einige kleine Korrekturen vor, dann schien er zufrieden.
„Das nennt man Streuung“, flüsterte Frode neben mir. „Erst bekommen alle Karten eine Bedeutung, dann müssen sie gemischt und neu verteilt werden.“
Ich konnte kaum aufnehmen, was er sagte, denn in meiner linken Wade war plötzlich klarer Zitronengeschmack, während sich in meinem linken Ohr ein deutlicher Fliederduft breitmachte.
„Jetzt sagt jeder wieder seinen Satz“, erklärte der Joker. „Aber erst, wenn die Teile zu einem Ganzen zusammengefügt werden, kommt Sinn in die Patience. Denn wir sind alle vom selben Geschlecht.“
Einige Sekunden lang herrschte atemlose Stille. Dann fragte der Pik König: „Und wer von uns soll bitte anfangen?“
„Er ist jedesmal gleich ungeduldig“, flüsterte Frode.
Der Joker breitete
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