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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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beide noch da. «
    Sie drehte sich um, umarmte mich fester als je zuvor und flüsterte in mein Haar: » Ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren, Lily. Ich liebe dich, weißt du. «
    » Du bist die allerbeste Freundin für mich « , sagte ich und hauchte einen Kuss auf ihre Wange. Über Gwens Worte dachte ich in diesem Moment nicht weiter nach. Vielleicht weil Stimmen von oben erklangen. » Mrs. Grace, Miss Lily, sind Sie da? «
    » Komm, wir müssen nachschauen, ob es Schäden gegeben hat. « Wir standen auf, klopften uns ab und stiegen mit weichen Knien die Treppe hinauf. Als wir in die helle Abendsonne blickten, sahen wir den zerstörten Wintergarten und an der Tür Bert mit ein paar Männern. Alle sahen blass und ziemlich mitgenommen aus.
    » Gott sei Dank, da sind Sie ja, Miss Lily « , sagte Bert. Er atmete schwer, und ich konnte seine Bierfahne riechen. Offenbar kamen sie geradewegs aus dem Pub am anderen Ende der Straße.
    » Wir sind beide unverletzt « , sagte ich, » haben es rechtzeitig in den Keller geschafft. Und Mutter ist im Bürgerhaus. « Ich drehte mich herum, um das Haus in Augenschein zu nehmen. Bis auf ein paar gesprungene Fensterscheiben und natürlich den Wintergarten schien alles intakt. » Wo ist die Rakete eigentlich runtergegangen? Ist jemand verletzt? «
    » Niemand verletzt, soweit ich weiß « , sagte Bert. » Aber kommen Sie lieber mal mit, Miss Lily. «
    Als wir um das Haus herum durch den Küchengarten zur Fabrik gingen, sahen wir die Bescherung. Dort wo bis vor wenigen Minuten die Veredelungshalle gestanden hatte, war nichts mehr als ein von Trümmern umgebener Krater, aus dem Wolken von Staub aufstiegen. Alles war zerstört, das Gebäude, die Maschinen, und Reste der Seidenballen verteilten sich zwischen den Trümmern auf dem Hof. Es sah aus, als sei hier eine riesige Dreschmaschine am Werk gewesen.
    So etwas nannte man wohl einen Volltreffer.
    » Ganz ruhig « , sagte Gwen und legte mir den Arm um die Taille. Ich atmete tief ein und begriff erst angesichts dieser gewaltigen Zerstörung, was für ein Glück wir gehabt hatten. Zum dritten Mal war ich davongekommen: erst in der Cheapside, dann in der Pension mit Stefan und jetzt hier. Ich hatte alles überlebt.
    Bert trat gegen die Überreste eines zerborstenen Kessels. » Sieht nicht so aus, als sei hier viel zu retten, Miss Lily « , murmelte er düster.
    » Sind Sie sicher, dass niemand in der Halle war? « , fragte Gwen.
    Er nickte. » Auch nicht in den anderen Gebäuden. Die Nachmittagsschicht hat vor zwei Stunden Schluss gemacht. « Die Fabrik selbst schien tatsächlich einigermaßen intakt, abgesehen von zerbrochenen Fensterscheiben und Glasscherben, die überall herumlagen. Bert zog einen Schlüsselbund aus der Tasche und sperrte die Tür auf. Wir gingen durch alle Abteilungen und hatten das Gefühl, über Millionen von Glassplittern zu laufen. Nicht nur das: Die herumfliegenden Scherben hatten jedes Stück Stoff, sämtliche Spulen und Garnstränge in der Weberei, der Zwirnerei und der Spulerei wie mit Messern durchschnitten.
    » Wären die Verdunkelungsrollos heruntergezogen gewesen, hätten sie das Schlimmste verhindert « , sagte Gwen.
    » Wir brauchen Monate, um das wieder in Schuss zu bringen « , sagte ich den Tränen nahe.
    Gwen nickte. Wir ahnten beide, was da auf uns zukam. Mit der Reparatur der Fenster war es schließlich nicht getan. Alles, aber wirklich alles musste neu beschafft werden. Vorher konnten die Webmaschinen gar nicht anlaufen.
    Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile. Innerhalb kurzer Zeit trafen Dutzende freiwilliger Helfern ein – Nachbarn, Arbeiter und ihre Familien –, und das große Aufräumen begann. Jeder verfügbare Besen und jede Kehrschaufel in Westbury schien zum Einsatz zu kommen, ebenso alle verfügbaren Schutzhandschuhe, damit sich niemand an dem Glas die Finger zerschnitt. Desgleichen wurden Bretter herbeigeschafft, um die Fensteröffnungen provisorisch zu verschließen.
    Auch Mutter traf ein, hatte Tränen der Erleichterung in den Augen, weil uns nichts passiert war. » Was kann ich tun, um zu helfen, Mädchen? «
    » Tee kochen vielleicht und ein bisschen was dazu, falls sich noch Kekse oder Kuchen findet? « , sagte ich.
    » Wird sofort erledigt « , antwortete sie und steuerte auf die Kantine zu.
    Lange nach Einbruch der Dunkelheit rief ich alle Helfer zusammen.
    » Tausend Dank für alles, was Sie getan haben, Sie waren wunderbar « , sagte ich. » Morgen am Sonntag

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