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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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Kastanienhaus hingegen war planbar und voraussehbar geworden. Ein Tag verlief wie der andere. Ich mochte das, weil es mir einen Rahmen gab, an den ich mich halten konnte. Abweichungen von der Routine waren mir zuwider, überraschende Besuche hasste ich sogar. Ich ertrug inzwischen auch Mutters und Gwens entschlossene Heiterkeit und war dankbar, wenn sie mir zwischendurch erlaubten, mit meiner Trauer alleine zu sein. Das Kastanienhaus, und die Fabrik kriegsbedingt teilweise ebenfalls, war zu einer Welt der Frauen geworden – einem tröstlichen, behaglichen Kosmos, in der wir uns liebevoll unterstützten und hielten.
    Gwen und ich wurden unzertrennlich, bei der Arbeit wie zu Hause. Ich konnte mir ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Sie las meine Gedanken und verstand meine Stimmungen, wusste immer, was zu sagen war oder was man besser nicht aussprach. Mit ihr lernte ich nicht nur wieder zu lachen, sondern auch zu trinken, ohne mich zu betrinken.
    » Fünf Jahre Krieg « , sagte sie und hob ihr Glas, während wir im goldenen Licht eines späten Septemberabends auf der Terrasse saßen. » Fühlt es sich nicht an wie ein ganzes Leben? «
    Wir hatten lange nichts mehr von John gehört und fürchteten schon, die Deutschen könnten sich angesichts ihrer Niederlagen an den englischen Kriegsgefangenen rächen. Mutter stürzte sich deshalb noch verbissener in ihre Rotkreuz-Aktivitäten und war gerade mit einer weiteren Spendenaktion im Bürgerhaus von Westbury beschäftigt.
    » Ich kann mich nicht mal mehr daran erinnern, wie sich das Leben im Frieden anfühlte « , sagte ich und nahm einen Schluck von dem kalten, säuerlichen Getränk in meinem Halbliterglas. Wir hatten eine Flasche hausgemachten Apfelwein geöffnet, der sich in einen außergewöhnlich stark moussierenden Cidre verwandelt hatte.
    » O doch, ich erinnere mich gut « , sagte Gwen und blinzelte in die tief stehende Sonne, sodass ihre Sommersprossen auf Nase und Stirn sich zu einer einzigen Fläche zusammenzogen. » Ich sehe dich noch vor mir an deinem ersten Tag in der Fabrik. Ein junges, frisches Ding, das bloß aus Armen und Beinen zu bestehen schien, und ständig hast du an deiner neuen Frisur rumgemacht. Hätte nicht gedacht, dass du länger als ein, zwei Tage bleiben würdest. «
    » Es war zunächst auch als Zwischenlösung gedacht – weil Vater mich nicht nach Genf gehen lassen wollte und mir sonst nichts einfiel « , sagte ich. » Außer Krankenschwester und Lehrerin gab es keine große Wahl. «
    » Da haben wir dich eines Besseren belehrt, stimmt’s? Du hast das wirklich gut gepackt. «
    » Mit deiner Hilfe « , sagte ich und legte meine Hand auf ihre.
    Sie erwiderte den Druck. » Tja, und da sitzen wir jetzt … « , begann sie, um sogleich abzubrechen. » Was zum Teufel ist das? «
    » Ein Motorrad? Der Morgan? Robbie? «
    » Zu laut « , sagte sie.
    Das Geräusch verstummte plötzlich, und in diesem Moment wussten wir beide, um was es sich handelte. » Verdammt, eine V2 « , rief ich, warf mein Glas weg, sprang auf, ergriff Gwens Hand und sprintete in Richtung Haus. » In den Keller! Schnell! « Seit Anfang des Monats feuerten die Deutschen nämlich diese neuen Raketen auf England ab, die zielgenauer und gefährlicher waren als die V1.
    Wir rannten durch den Wintergarten ins Haus, stolperten die Kellertreppe hinunter und warfen uns zu Boden, als die Druckwelle auch schon das Haus in seinen Grundfesten erzittern ließ. Der Einschlag war gekommen wie ein Paukenschlag und wurde gefolgt vom Geräusch splitternden Glases, das entfernt an Triangeln erinnerte. Unwillkürlich musste ich an die letzte Nacht mit Stefan in der U-Bahn-Station denken – da hatte ich es zuletzt gehört. Zum Glück schien nicht viel passiert zu sein, soweit wir das vom Keller aus beurteilen konnten.
    » Das war eine Rettung in letzter Minute « , sagte ich. » Alles in Ordnung mit dir? «
    Ich spürte, wie Gwens Körper bebte, und dachte, sie würde erleichtert lachen. Doch als sie sich aufsetzte, bemerkte ich das Glitzern von Tränen auf ihren Wangen.
    » Gwen? Ist ja gut – uns ist nichts passiert. Wir sind in Sicherheit. « Ich holte ein Taschentuch hervor und reichte es ihr.
    » Einen Augenblick lang dachte ich, das sei es gewesen « , erklärte sie mit bebender Stimme, wischte sich die Augen und putzte sich die Nase. » Ich hätte dich um ein Haar verloren. «
    » Wir hätten beide verloren sein können. « Vor Erleichterung lachte ich. » Aber wir sind schließlich

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