Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
für ein großartiger Bursche Sie doch sind, und dann erstarren Sie wieder, wenn ich MacAndrews Frau erwähne, und sagen mir, daß Sie nicht viel über sie wissen. Eine Lüge — Sie sind voll von Lügen und Ausflüchten. Ich werde Ihnen sagen, was ich denke. Ich denke, daß Chasŏng mit MacAndrew in Verbindung steht, mit seinem Rücktritt, seiner Ermordung, der Lücke in seinen Dienstakten und den verschwundenen Akten aus dem Federal Bureau of Investigation. Und irgendwo in diesem ganzen Schlamassel steckt MacAndrews Frau. Wieviel da sonst noch verborgen ist, weiß ich nicht, ich habe nicht die entfernteste Ahnung, aber es wäre besser, wenn sie es mir sagen würden. Ich werde es nämlich so oder so herausfinden. Eine Frau ist in die Sache verwickelt, und diese Frau liebe ich, und ich werde nicht zulassen, daß irgend jemand von Ihnen sie weiter belästigt. Schluß jetzt mit dem Unfug, Ramirez! Die Wahrheit will ich hören!«
Der Brigadier reagierte, als hätte man plötzlich das Feuer auf ihn eröffnet. Sein Körper spannte sich; plötzlich sprach er im Flüsterton. »Die Lücke in seinen Dienstakten. Woher wußten Sie das? Das haben Sie nicht erwähnt. Sie hatten kein Recht — Sie haben mich hereingelegt.« Er fing an zu schreien. »Sie hatten kein Recht, das zu tun! Sie begreifen das nicht! Nur wir haben das begriffen. Wir haben es versucht !«
»Was geschah in Chasŏng?«
Ramirez schloß die Augen. »Nur das, was Sie glauben. Das
Massaker war überflüssig, die Entscheidung falsch ... Das liegt so lange zurück. Lassen Sie es sein!«
Kastler stand auf und blickte auf den Brigadier herab. »Nein. Ich beginne jetzt nämlich zu begreifen. Ich glaube, Chasŏng war das größte Vertuschungsmanöver in der Militärgeschichte dieses Landes. Und irgendwo, irgendwie, steht das in diesen Archiven. Ich glaube, MacAndrew konnte nach all den Jahren nicht mehr damit leben. Er war endlich so weit, daß er darüber reden mußte. Also taten Sie sich alle zusammen und machten Jagd auf ihn, weil Sie nicht damit leben konnten!«
Ramirez schlug die Augen wieder auf. »Das stimmt nicht. Um Himmels willen, lassen Sie es doch ruhen!«
»Das stimmt nicht?« sagte Peter leise. »Ich bin nicht sicher, daß Sie überhaupt wissen, was stimmt oder nicht. Sie sind schuldig, man spürt das förmlich. Ihre Selbstgerechtigkeit ist sehr verdächtig, General. In Arlington haben Sie mir besser gefallen; da war Ihr Ärger echt. Sie verstecken etwas — vielleicht vor sich selbst, das weiß ich nicht. Aber eines weiß ich, ich werde herausfinden, was Chasŏng bedeutet.«
»Dann möge Gott Mitleid mit Ihrer Seele haben«, flüsterte Brigadegeneral Pablo Ramirez.
Kastler rannte durch die Union Station auf den Amtrak-Bahnsteig zu. Es war kurz nach zwei Uhr morgens; die riesige kuppelüberdachte Bahnhofshalle war fast verlassen. Auf den Bänken kauerten ein paar alte Männer, wärmten sich dort und suchten Zuflucht vor der Dezemberkälte Washingtons. Ein alter Mann schien sich aufzurichten und Peter zu beobachten, als er an ihm vorbeirannte. Vielleicht war er aus einem einsamen Traum gerissen worden.
Er mußte sich beeilen. Der Zug nach Quantico war der letzte — der nächste würde erst um sechs Uhr gehen. Er wollte zu Alison, er mußte mit ihr sprechen, sie dazu bringen, daß sie sich erinnerte. Und dann mußte er auch schlafen. Es gab so viel zu tun, daß er sich einfach nicht leisten konnte, unausgeruht zu sein. Ein Plan begann Gestalt anzunehmen. Der Anfang dazu war in Ramirez’ beiläufig hingeworfenen Worten zu finden: Chasŏng ... Die Opfer findet man in Dutzenden von Veteranenhospitälern .
Peter setzte sich in der Mitte eines verlassenen Waggons ans Fenster und betrachtete im schmutzigen Glas sein Spiegelbild. Sein abgehärmter Gesichtsausdruck war nicht zu übersehen. Irgenwo
draußen hallte eine metallische Stimme schrill aus einem Lautsprecher. Kastler schloß die Augen und sank müde in die Polster, als die Räder sich in Bewegung setzten, und der Rhythmus des fahrenden Zuges schnell hypnotischen Charakter annahm.
Er hörte leise Schritte hinter sich im Gang, hörte sie trotz des Polterns der Räder. Er vermutete, daß es der Schaffner war, also ließ er die Augen geschlossen und wartete darauf, daß man ihn nach seiner Fahrkarte fragte.
Aber die Aufforderung kam nicht. Die Schritte waren verstummt. Peter schlug die Augen auf und drehte sich im Sitz herum.
Alles ging so schnell. Das kranke, bleiche, verzerrte Gesicht
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