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Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Titel: Das katholische Abenteuer - eine Provokation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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Wissenschaftler unserer Tage bestätigen. Der Anthropologe Lionel Tiger und der Neurologe und Psychiater Michael McGuire präsentieren in ihrem Buch God’s Brain Befunde, die darauf schließen lassen, dass religiöse Menschen glücklicher und länger leben. Sie widerlegen die Mär einer Verkrüppelung durch Religion. Und sie erklären, warum das so ist. Weil die Gottesannahme das nicht ausgelastete Gehirn beschäftigt. Der Mensch ist das Wesen, das an morgen denken kann und an den eigenen Tod. Die Frage nach Sinn und Herkunft, so die
Autoren, stimuliere das Gehirn und schütte das Glückshormon Serotonin aus. Auch Ordnung schaffende Rituale und Gemeinschaftserlebnisse tun das. »Kirchen sind regelrechte Serotonin-Fabriken«, sagt Lionel Tiger.
    Eines der Mysterien, das uns beschäftigt, ist ganz sicher »der gute Mensch« und das Ideal, das er uns aufweist. Wir sind aufgewühlt, wenn wir einem solchen begegnen, und wir wollen in gleicher Weise über uns hinaus. Wir fiebern, wenn wir im Idioten von Dostojewski mit dem sanften Fürsten Myschkin durch eine Welt voller Eitelkeit und Habsucht unterwegs sind. Das Urbild, das durch ihn hervorschimmert, ist selbstverständlich Christus.
    Von Gottfried Benn gibt es ein spätes Gedicht, in dem es heißt: »Ich habe mich oft gefragt, und keine Antwort gefunden, woher das Sanfte und das Gute kommt, weiß es auch heute nicht, und muß nun gehen.« Benn, der Mediziner, der Zyniker, der in zwei Weltkriegen Zeuge unvorstellbarer Grausamkeiten war, fragt sich am Ende seines Lebens plötzlich mit Erstaunen, woher das Gute kommt. Eine Sache der Enzyme, der Gene? Diese Antwort wäre ihm, dem Wissenschaftler, ob ihrer Primitivität nicht über die Lippen gekommen, selbst wenn er die Beobachtungen von Altruismus im Tierreich – ja, den gibt es auch – gekannt hätte.
    In seinem großartigen Essay über die Notwendigkeit unserer Selbstvervollkommnung, Du musst dein Leben ändern, entwirft der dichtende Philosoph Peter Sloterdijk eine Art Religiosität nach und jenseits aller Religion. Es gibt Gott nicht, aber wir müssen so tun, als ob. Ohne vertikale Spannung, so Sloterdijk, kann ein Leben nicht gelingen, ja, ist es kaum wert, gelebt zu werden. Religion ist für ihn nur ein »missverstandenes spirituelles Übungssystem«. Was er empfiehlt, klingt sehr nach ignatianischen Exerzitien. Doch deren Absolventen bleibt die Ernüchterung erspart, oben nur erneut dem stolzen Ich zu begegnen – die haben es dann mit einem doch größeren Übungsleiter zu tun.

    Auch Gesellschaften brauchen Vollkommenheits-Ideale, sonst zerbrechen sie. Wir brauchen den Glauben daran für unser Zusammenleben, für unser Weiterleben, und sei es den an Gerechtigkeit und Würde und Freiheit, wie wir es derzeit in der arabischen Welt erleben. Bischof Tutu segnete den Aufstand als gottgewolltes Recht. Für Kant speiste sich schon der anteilnehmende Enthusiasmus für die Französische Revolution aus einer »moralischen Anlage im Menschengeschlecht«. Im christlichen Menschenbild ist diese Idee in vollendeter Weise notiert, denn der Mensch ist als Ebenbild Gottes gedacht. Der Gedanke, dass er genau dadurch eine unantastbare Würde besitzt, wird nicht nur im ersten Artikel unseres Grundgesetzes festgeschrieben und garantiert, sondern er durchpulst als innerster Kern das gesamte Gesetz, das unser ziviles Zusammenleben regelt.
    Ohne diese Streckung einer Gesellschaft auf Ideale hin kann sie nicht funktionieren. Ohne diese Werte, die doch oft gerade im Glauben verkapselt sind, gibt es keine Zukunft, und die Anzeichen mehren sich, dass wir säkularen, glaubenslosen Gesellschaften sie uns zunehmend verbauen.
    Wenn wir die Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben als Gottes Geschöpfe nicht mehr haben, werden wir den Menschen als züchtbares Ersatzteillager, als Rohmaterial, als seelenlose Biomaschine sehen, mit der alle Experimente erlaubt sind. Daher ist der Einspruch der Kirchen etwa in Fragen der Präimplantations-Diagnostik ein zutiefst humaner. Wir dürfen uns nicht anmaßen, Leben danach zu beurteilen, ob es wert oder unwert ist. Es ist eine schöne Pointe, dass es unserem gottesfürchtigen Umgang mit menschlichem Leben zu danken ist, dass es Stephen Hawking, den großen Gotteszweifler, überhaupt gibt – seine Krankheit wäre womöglich in einer pränatalen Diagnostik erkannt und der ganze Stephen Hawking schon früh aussortiert worden.
    Nicht dass es an Plädoyers für eine Welt ohne Gebote und Gewissen mangelte,

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