Das katholische Abenteuer - eine Provokation
liebe ich geradezu. Ich verstehe sie nur nicht. Denn meiner Ansicht nach spricht alles für den Glauben. Genauer: für den katholischen Glauben. Spätestens wenn man eine Mozart-Messe gehört hat.
Zu den Tollheiten unserer Tage gehört für mich die Anstrengung von Intellektuellen zur Selbstentzauberung. Viele Kollegen darunter, auch in unserer Redaktion. Die scharfsinnigsten Geister halten es für erstrebenswert, unsere und ihre eigene geistige Existenz auf das Spiel von Proteinen und Enzymketten und Genen herunterzurechnen. Garantiert glaubensfrei. Tatsächlich entsteht dabei ein geradezu rührendes Mischlicht aus Anmaßung und Bescheidenheit nach der Maßgabe: »Ich bin nichts als schiere Materie, nichts als purer Stoffwechsel, aber ist es nicht genial, wie spritzig ich das bewiesen habe?«
Diese Entzauberungskunst wird bisweilen so fanatisch vorgetragen, dass sie selber alle Verhärtungsanzeichen eines dogmatischen Glaubensartikels hat. Stutzen diese unabhängigen Geister nicht über den paradoxen Umstand, dass sie das Hochamt der Unfreiheit feiern? Wenn wir aus nichts als Zellstruktur und physio-chemischen Reiz-Reaktions-Ketten bestehen, kann man doch wohl von einem freien Willen nicht mehr reden.
In den Augen der Wissenschaftsatheisten sind wir also determiniert. Wir sind so sehr vorherbestimmt, wie es nur der düstere späte Augustinus in seiner Erbsündentheologie ausgebrütet hat, wo wir nichts sind, wenn nicht aus der Gnade Gottes. Für die Biochemiker und Neurologen sind wir nichts, wenn nicht aus der Gnade der Gene. Im Grunde sind Wissenschaftler Theologen des Schreckens. Auf alle Fälle aber auf ihre Weise Glaubende. Das hat bereits Nietzsche, der den Tod Gottes verkündet hat, erkannt und in seinem berühmten Aphorismus 344 aus Die fröhliche Wissenschaft »Inwiefern auch wir noch fromm sind« ausgeführt. In dem heißt es, dass »es immer noch ein metaphysischer Glaube ist, auf dem unser Glaube an die Wissenschaft ruht, – daß auch wir Erkennenden von heute, wir Gottlosen und Antimetaphysiker, unser Feuer noch von dem Brande nehmen, den ein jahrtausendealter Glaube entzündet hat, jener Christenglaube, der auch der Glaube Platons war, daß Gott die Wahrheit ist, daß die Wahrheit göttlich ist«.
Wie sehr wir heute, im primitiven Biologismus und Materialismus unserer Tage, diese immerhin mächtig nachklingende Tiefenschwingung der Gottverneinung vermissen. Stattdessen: Reflexionsfaulheit. Die Brücken nach oben sind abgebrochen, und alle Energie wird in die profane Existenz investiert. Statt des alten Glaubens wird ein geradezu albernes positivistisches Beharren auf den Siegen der naturwissenschaftlichen Vernunft vorgeführt! Sicher, die hat uns Heilkraft und Gelehrsamkeit gebracht und den Beweis, dass wir um die Sonne kreisen, und vieles mehr, was in christlichen Klöstern bereits im frühen Mittelalter studiert wurde. Ihr Gestus allerdings ist: Es gibt nichts sonst.
Als sei die Aufklärung nicht längst müde geworden an sich selber! Als sei die technologische Zurichtung der Welt nicht unrettbar an ein erhebliches Maß an Irrationalität, ja Wahnsinn geknüpft. Wir züchten die genetisch veredelte Turbokartoffel, aber jeden Tag verhungern 26 000 Menschen. Wir schaffen gigantische Staudämme zur Energiegewinnung, wir bohren die Meeresböden auf, wir holzen Wälder ab und lassen die Natur veröden, bis Ökosysteme kippen, Arten sterben. Ja, tatsächlich machen wir uns die Natur so sehr untertan, dass sie japsend unter uns zusammenbricht. Dabei, auch das steht in der Bibel, sollten wir sie pflegen als unseren Garten. Woher der Stolz auf diese Form von Un-Vernunft rühren soll, ist mir schleierhaft.
Am bemerkenswertesten aber ist unser Stolz darüber, dass wir die Religion als kindisches Märchengespinst entlarvt haben wollen. Wir laufen aufrecht. Wir sind mündig. Wir müssen uns nicht mehr anlehnen. Wenn wir nach oben schauen, dann nur, um uns zu vergewissern, dass wir recht haben: alles leer.
Doch merkwürdigerweise fühlen wir uns auch innerlich leer dabei, zumindest die Empfindlicheren unter uns. Und haltlos. Und verloren. Gilbert Chesterton, Schöpfer des scharfsinnigen Pater Brown, hat in seiner Orthodoxie beobachtet: »Das mystische Moment ist es, was den Menschen im Laufe ihrer Geschichte die Gesundheit erhalten hat. Solange es das Mysterium gibt, bleiben die Menschen gesund; zerstört man es, liefert man sie dem Verfall aus.«
Chesterton nahm vorweg, was ausgerechnet atheistische
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