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Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Titel: Das katholische Abenteuer - eine Provokation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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Horror der Lüge vor. Überhaupt kennt die Literatur faszinierende unmoralische Spielernaturen, wahre Virtuosen des Falschen wie Felix Krull. Ohne die romantische Ironie, die auch Verstellung bedeutet, sind Heines Gedichte unmöglich. Goethe nannte den Bericht seines Lebens Dichtung und Wahrheit, wobei ein erheblicher Arbeitsaufwand in den Anteil der Dichtung ging.
    Auf der anderen Seite werden häufig gerade die Wahrheits-Angeber als moralische Nullen überführt: »Richter Gnadenlos« Schill verfolgte unter großem Lärm jeden armen Junkie – bis er selbst als Drogenkonsument enttarnt wurde. Und wie hinreißend ist diese Pointe, dass bei Post-Chef Zumwinkel just in dem Moment eine Steuer-Razzia durchgeführt wurde, als sein Lob auf ethische Lebensführung im Mitarbeiter-Magazin erschien?! Sollten wir da nicht weniger manichäisch mit Lüge und Wahrheit, mit Richtig oder Falsch umgehen? Mal nicht ganz so sehr Gas geben und die Freiheit zur Verstellung preisen?
    Antwort: Es geht nicht. Kirchenvater Augustinus, selber in jungen Jahren äußerst lebenslustig und gern gesehener Gast in Mailänder Bordellen, hat erklärt, warum die Lüge schon methodisch nicht funktioniert. Seine Analyse wurde von Thomas von Aquin und Immanuel Kant weiterentwickelt und hat
Gültigkeit bis heute: Die Lüge zerstört jede Kommunikation. Die Lüge vernichtet das soziale Gewebe. Der Lügner nimmt weder sich noch den anderen ernst. Er verletzt sowohl die Würde des Angesprochenen wie seine eigene. Auch Willemsen will nicht verkohlt werden. Die Wahrhaftigkeitsregel gehört zum kategorischen Imperativ: Der Lügner nimmt Zuflucht zu einem Mittel, von dem er selber nicht möchte, dass es allgemeine Akzeptanz findet und dann auch auf ihn angewendet wird. Dass das nicht geht, ist einsehbar für jeden.
    Gibt es die Lüge, die erlaubt ist? Aber sicher, und selbst Augustinus scheint mit sich reden zu lassen, wenn sie hilft, eine Vergewaltigung zu verhindern. Noch deutlicher: Natürlich ist man nicht verpflichtet, dem SS-Mann auf die Frage nach dem Versteck der jüdischen Familie die Wahrheit zu sagen. Auch diesen Fall hat Kant, sonst so prinzipienfest wie Augustinus, bereits diskutiert: »Die Wahrheit zu sagen ist eine Pflicht, aber nur gegen denjenigen, welcher ein Recht auf die Wahrheit hat.« Der SS-Mann hat kein Recht darauf. Er muss belogen werden.
    Allerdings hat es diese extreme und extrem notwendige Ausnahme von der Wahrheitsverpflichtung verdient, mit großem Respekt behandelt zu werden. Es handelt sich um die Lüge als Form der Zivilcourage. In unserer Vergnügungsgesellschaft ist diese allerdings mittlerweile so weit trivialisiert, dass sie jeder Kretin bemüht, der seinen Mitmenschen übers Ohr haut. Das ist dann, pardon, so unappetitlich, wie Hannah Arendt zu zitieren, um eine Ypsilanti zu exkulpieren.
    Eine Gesellschaft, in der die Lüge zur allgemein akzeptierten Verkehrsform gehört, marschiert in den Schwachsinn. Dafür – für den allgemeinen Schwachsinn – gibt es durchaus Anhaltspunkte. Der Sänger König Boris der Gruppe Fettes Brot bringt die Sache auf den Punkt. »Ich frag mich, was das über ein Land aussagt, wenn nachts Frauen im Fernsehen oben ohne nach Automarken mit A fragen und dann Leute anrufen und ›BMW‹ sagen. Da kann irgendwas auf beiden Seiten nicht stimmen.«

    Das ist die Lage. Wir haben uns an den Schwachsinn gewöhnt, an eine Situation, in der es völlig irrelevant geworden ist, was wir sagen und ob es die Wahrheit ist oder nicht, geschweige denn, dass wir sie erkennen. Was wir haben, ist das Zwielicht der Unterhaltungsindustrie, die alles gleich und billig ausleuchtet, selbst die besten Zwecke, für die sie sich ins Zeug legt.
    Das lässt sich auch auf Illustriertencovern oder Charity-Events besichtigen. Auf eine Mutter Teresa kommen ganze Heerscharen von Society-Damen und Starlets im schwarzen Mini und Popstars mit Sonnenbrille, die Geld für kranke Kinder sammeln und darauf achten, dass sie am Buffet in der richtigen Klatschspalte neben dem richtigen Zwölfender richtig abgelichtet sind. Warum können die nicht mal Kartoffeln schälen, wenn die Kamera nicht dabei ist?
    Frage also: Sie tun doch objektiv Gutes – warum will der Brechreiz darüber dennoch nicht verschwinden? Offenbar zählt die Absicht mit. Sie klebt am Zweck. Ein aristotelisches Paradigma ist: Wahrhaftig ist nur der, der sich so darstellt, wie er ist. Derjenige, der nur an PR und Selbstvergrößerung interessiert ist, lügt nach

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