Das katholische Abenteuer - eine Provokation
Anstoß. Den Urknall für den Urknall. »Gott ist die erste Ursache aller Dinge«, schreibt der Mathematiker und Philosoph Leibniz. »Es gilt den Grund für die Existenz der Welt als den Zusammenschluss aller zufälligen Dinge aufzusuchen, und zwar in der Substanz, die den Grund ihrer Existenz in sich selbst trägt und die darum notwendig und ewig ist.« Mit einem anderen Wort: Gott.
So wenig wie den Beginn kann die Wissenschaft das Ziel der Schöpfung erklären. Ich hatte mit dem Wiener Molekularbiologen Schuster darüber gesprochen, der in Castelgandolfo dem sehr neugierigen Papst Rede und Antwort zu diesen Fragen stand. Schuster führte aus, dass sich die Schöpfung in einem sehr schmalen Korridor folgerichtig bewege. Unzählige andere Vektoren wären genauso möglich gewesen. Dass es nun ausgerechnet unserer wurde, könne Zufall sein. Genauso wenig aber wolle er ausschließen, dass es einen gestaltenden Willen gäbe, einen Dirigenten, eine ordnende Hand, einen intelligenten Designer, der die Richtung vorgegeben hat.
Doch die Wissenschaft kümmert sich um Wissenschaft und um nichts sonst. Oder um es in den Worten des Amerikaners Guy J. Consolmagno, Astronom am Observatorium des Vatikan, zu sagen: »Meine Religion sagt mir, dass Gott die Welt geschaffen hat, und die Wissenschaft erklärt mir, wie er es getan hat.« Consolmagno hat eine interessante Karriere. Bevor er in den Jesuitenorden eintrat, arbeitete er für die NASA und lehrte an
den Elite-Unis Harvard und MIT. Religion, so der Astronom, braucht die Wissenschaft, »um an der Realität zu bleiben und sich gegen Vorstellungen wie den Kreationismus zu schützen.« Die Wissenschaft, fährt er fort, erklärt uns die Wahrheit über das Universum. »Aber sie kann uns nicht die Schönheit, nicht die Liebe erklären.« Oder den Sinn des Lebens.
Und das ist es doch, was uns letztlich umtreibt: den Sinn unserer Existenz zu entziffern, die Geheimschrift, die unser Leben unterlegt. »An einen Gott glauben heißt, die Frage nach dem Sinn des Lebens verstehen. An einen Gott glauben heißt, dass es mit den Tatsachen der Welt noch nicht getan ist. An einen Gott glauben heißt, dass das Leben einen Sinn hat.« Klingt logisch. Kein Wunder. Es stammt von Ludwig Wittgenstein.
Nun kann es sein, dass heutzutage ein sinnvolles Leben gar nicht hoch im Kurs steht. Reicht es nicht einfach, Pizza zu ordern und sich im Nacken zu kratzen und auf die Sportschau zu warten? Oder das geile Outfit bei H&M wirklich billig zu schießen und megamäßig auf der nächsten Party aufzutrumpfen? Oder den Konkurrenten aus dem Weg zu räumen und seine Position einzunehmen in diesem Irrsinn, den wir für das Leben halten? Oder diese Show zu haben oder bei jenem Vortrag zu glänzen, diesen Wahlkreis zu erobern oder jene Frau?
Kann ja sein, dass das genügt fürs Erste. Aber dann? Was ist es nur, das uns diese merkwürdige Nervosität eben gerade nicht nimmt und diesen Hunger? Warum dieses Mangelgefühl, trotz Pizza und Boutiquenfummel und Karriereschritt und dem Applaus in Konferenzsaal oder Wahlkreis?
Ich behaupte mal, wir sind mit einer spirituellen Unzufriedenheit auf die Welt gekommen, mit diesem eingebauten Mangelgefühl, mit einer Art Heimweh, von dem Platon spricht, einer melancholischen Neugier, die uns suchen lässt, ein Leben lang. Dieses Heimweh ist das nach dem Urzustand der Liebe. »Wenn es Gott nicht gibt, warum fehlt er mir dann so?«, heißt es in einem Gedicht des Priesters Andreas Knapp.
Einigen gelingt die Gelassenheit eines Buddha, der nicht nur Pizza und Discofummel für Quatsch hält, sondern auch die Suche nach dem Sinn, und der diese Suche eingestellt hat, ein für alle Mal. Andere haben sich zum Heroismus Nietzsches durchgekämpft und zur Erkenntnis, dass wir nichts als nackte Affen sind, die, in ein Stück Erde gekrallt, durch ein endloses unbewohntes kaltes All rasen. Daraus lässt sich ein Programm machen. Entweder das einer rauschhaften Daseinsfeier und ästhetischen Ich-Formung bis hin zum heroischen Übermenschen. Oder das der totalen absurden Verzweiflung.
Wie sehr ich den Hut vor diesen Haltungen ziehe! Wie sehr ich Camus und andere existentialistische Matadore bewundere und wie sehr ich durchaus anfällig bin für den Stolz ihrer Schlussfolgerungen und ihre atheistische Unbestechlichkeit und ihre Wachheit, die ohne Trost auskommt. Wir brauchen keine Religion, keinen Trost, sagen sie, und sie leben danach. Mutig. (Von Camus allerdings stammt der Satz, der wie
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