Das katholische Abenteuer - eine Provokation
eine christliche Meditation ist: »Es gibt keine Liebe, außer in Gott.«)
Doch es gibt eine populäre Variante dieses Atheismus, die mutig tut, aber ansonsten in der Herde blökt. Und das ist die verbreitetste, die zu finden ist in jedem gesellschaftlichen und intellektuellen Milieu. Sie will sich die Mühen der Reflexion ersparen und gleich weiterziehen zum Ballermann. Man lebt nur einmal. Und danach Zapfenstreich. Da fehlt mir dann die Fallhöhe. Jeder abgestumpfte Gegenwartsidiot kann heutzutage Gott für tot erklären. Wie viel spannender ist doch, zu sagen: er lebt!
Für den Aufklärer Kant war der Glaube an Gott ein Akt der Vernunft. »Die Vernunft entrüstet sich bei dem Gedanken, all das dem Zufall zuzuschreiben. Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.« In anderen Worten: Die Kosmologie kommt so wenig ohne Gott aus wie der innere Mensch.
Dennoch sieht es heute so aus, als könne es für einen Intellektuellen keine größere Herausforderung geben, als den Glauben und die Kirche und ihre Anliegen in Schutz zu nehmen. In Toronto kam es zu einem bemerkenswerten Showdown zwischen Christopher Hitchens und Tony Blair, dem ehemaligen britischen Premier, der nach dem Ausscheiden aus dem Amt vom Anglikaner zum Katholiken wurde. Hitchens betete den Sündenkatalog der Kirchen hoch und runter. Er kritisierte ihr Menschenbild, das den Einzelnen als sündenbeschwertes Wesen ansehe, abhängig vom Schuldspruch oder Gnadenerlass eines himmlisches Politbüros, dessen Ratschlüsse unerforschlich seien.
Er sagte tatsächlich »Politbüro« und kassierte beifälliges Gelächter und nahm dafür einfach mal in Kauf, dass die Assoziationen bei »Politbüro« doch in eine ganz andere Richtung als die gewünschte laufen, nämlich in absolut himmels- und gottferne Gegenden wie Nordkorea, dessen Heilsplan den Menschen nur als Massewesen und Ameise vorsieht. Also das Gegenteil des Christentums.
Dessen Menschenbild, möchte man hier noch einmal einwerfen, ist doch um einiges heller. Kann es eine radikalere und fundamentalere Aufwertung geben als den Gedanken an die Ebenbildlichkeit Gottes? Philosoph Habermas mahnte eindringlich an, dass man sich um die rettende Übersetzung dieses jüdisch-christlichen Glaubensinhalts in die säkulare Gegenwart bemühen solle.
Eine Welt ohne Gott, so behauptete Hitchens, habe einen enormen Humanitätsvorsprung. Religion erschwere das Zusammenleben, sie befeuere Hass, sie sei schwulenfeindlich, frauenfeindlich, demokratiefeindlich. Tony Blair fiel es relativ leicht, diesen Ansturm populistischer antikirchlicher Phrasen ins Leere laufen zu lassen. Er nannte in Toronto ganz schlicht die Kernbotschaft des Christentums: die Nächstenliebe. Er führte die zahlreichen Ordensleute in aller Welt an, die ihren Daseinszweck darin sehen, Gutes zu tun. Ja, das gibt es tatsächlich:
das Gute, das aus Selbstlosigkeit erfolgt und aus dem Bedürfnis heraus, Gott zu dienen.
Von Heinrich Böll stammen die Worte: »Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: Krüppel und Kranke, Alte und Schwache; und mehr noch als Raum gab es für sie: Liebe für die, die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen.« Und dann, um seinen Worten Nachdringlichkeit zu verleihen: »Ich empfehle es der Nachdenklichkeit und Vorstellungskraft der Zeitgenossen, sich eine Welt vorzustellen, auf der es Christus nicht gegeben hätte.« Das war 1957. Mittlerweile, lieber Heinrich Böll, haben die Zeitgenossen erhebliche Fortschritte darin gemacht, sich eine Welt ohne Christus vorzustellen, mehr noch, sich darin einzurichten.
Ich bin mit der Vorstellung von einem Schöpfergott groß geworden, der alles lenkt und leitet und richtet. Dieser Schöpfergott ist die Hauptfigur einer großen Menschheitserzählung. Die meisten von uns – nach der jüngsten Bertelsmann-Religionsstudie rund 70 Prozent der Bevölkerung – glauben an einen Schöpfer, wie bärtig auch immer, der Himmel und Erde gemacht hat. Wir sind aufgewachsen mit dem Glauben, dass es einen himmlischen Vater gibt, der uns liebt und trägt. Dieser Kinderglaube überdauert nicht immer. Doch selbst diejenigen, die aus dem Glauben gefallen
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