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Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Titel: Das katholische Abenteuer - eine Provokation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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schaut er auf und lächelt: »Es gibt keine Sicherheiten im Leben, außer der, die man in sich trägt.« Über den Feldern geht rot die Sonne unter. Eine Stimmung wie Abendandacht. »Manchmal«, sagt er, »hilft nur noch beten«.
     
     
    Der Weltuntergang hat ein merkwürdiges Aussehen: Alles ist so, wie es immer war. Vielleicht ist die Welt hinter dem Horizont bereits verschwunden, aber hier, in Berlin am Spreebogen, laufen Spaziergänger in der Oktobersonne wie immer, stehen die Schlangen vor der Reichstagskuppel wie immer, fliegen innen die Frotzeleien hin und her wie immer.
    Vielleicht doch nicht wie immer: Philipp Mißfelder, CDU, läuft dem Linken Dietmar Bartsch in der Bundestagskantine über den Weg. Bartsch gehört jetzt eigentlich ins Lager der Schonimmer-recht-gehabt-Haber. Hat Marx nicht davon gesprochen, dass der Kapitalismus zu seinem eigenen Totengräber wird? Bartsch, der Marxismus-Leninismus-Doktorand, sieht nicht so aus, als ob er das tatsächlich wolle. Er kalauert mit gespieltem Grimm: »Das hat uns alles Gorbatschow eingebrockt.«
    Beide warten auf die Regierungserklärung der Kanzlerin zur Finanzkrise. »Das wird die wichtigste Rede ihrer Karriere. « Sie muss die Märkte beruhigen, die Welt retten. In der Kantine sagt Mißfelder, er habe sich jetzt mal erklären lassen, was ein Derivat ist. Es klang nicht gut. Er hat sein Geld auf der Sparkasse, aber keiner kann sagen, wo dieser ganze Alptraum enden wird.
    Die Börsen rutschen weiter, Mißfelders Blackberry piept. »Goppel steigt aus, jetzt macht es Seehofer.« Interessiert im Moment eigentlich keinen, wie die bayrische Thronfolge geregelt wird, hier geht es um das Schicksal der westlichen Zivilisation,
und vielleicht auch der östlichen. Das Klingelzeichen, alle begeben sich in die Rotunde, die Kanzlerin spricht.
    Die wichtigste Rede Merkels klingt eher klein und unwichtig. Vielleicht lässt die blaugraue Job-Center-Bestuhlung im Parlament hier auch gar keine wichtigen Reden, mehr zu. Der Tonfall: Wenn die Welt untergeht, gibt es ein Pflasterchen. Applaus brandet parteiübergreifend erst auf, als Merkel davon spricht, die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. In vielen politischen und religiösen Systemen hat der Sündenbock eine wichtige, gemeinschaftsstiftende Funktion.
    Sie wirkt unaufgeregt, als hätte sie Vorsprung, was sie ja auch hat: Sie ist in der DDR groß geworden, da hatte man kapitalistische Schurkenfiguren schon im Staatsbürgerkunde-Unterricht immer wieder neu besiegt!

    Am Abend hat Heinrich Haasis, Chef des Sparkassen- und Giroverbandes, ins Foyer der Kasse am Gendarmenmarkt zu einem lange geplanten öffentlichen Gespräch geladen: Ein Schriftsteller und ein Journalist unterhalten sich über Glauben und Geld. Der Schriftsteller ist Martin Walser, der Journalist bin ich.
    Ich hatte Walser über einen Film kennengelernt, den ich für die ARD über Religion gedreht hatte. Titel: Mein Gott . Eigentlich aber habe ich Walser als religiös Nachdenklichen über eins seiner Gedichte kennengelernt, das mir in die Hände fiel. Es geht so: »Ich bin an den Sonntag gebunden wie an eine Melodie. Ich habe keine andere gefunden, ich glaube nicht, aber ich knie.«
    Walser war Ministrant in seiner Jugend. Ich hatte mich mit ihm in der Kirche seiner Kindheit am Bodensee getroffen. Dort saßen wir in einer Kirchenbank vor einem Barockaltar und sprachen über Kierkegaard. Er zitierte ihn mit dem Satz: »Die Größe des Glaubens ermisst sich an der Größe des Unglaubens.«
    An diesem Abend wollte die Cicero -Redakteurin Christine Eichel mit uns über den Zusammenbruch des kapitalistischen
Glaubenssystems diskutieren, über die Liturgie des freien Marktes, über die rituelle Entfesselung der Gier.
    Walser hatte in einem Aufsatz über »religöse Begabung« geschrieben, und Christine Eichel wollte wissen, was er darunter verstehe.
    WALSER: Man muss eine bestimmte Kindheit gehabt haben. Vater und Mutter müssen eingewirkt haben, vielleicht kommt auch noch Biologisches hinzu. Und man muss auch später kindlich bleiben können in einem Teil seines Wesens. Mozart und Schubert wurden ja nie wirkliche Erwachsene, und sie waren religiöse Begabungen.
    MATUSSEK: Das Staunen gehört dazu. Wer das nicht kann, ist für Wunder verloren. Ich hatte eine katholische Kindheit, wie Sie. Später haben sich bei mir die Heilskoordinaten verschoben, die Erlösung der Menschheit sollte nun durch den politischen Kampf erfolgen, aber als die Revolution 14 Tage später

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