Das katholische Abenteuer - eine Provokation
feiern wollen in einem Hamburger Alternativ-Treff. Stil linksradikal, aber nett.
Man will auf die Zukunft anstoßen, und plötzlich ist die Zukunft futsch, und der Boden schwankt. Die Investmentbank Lehman Brothers war gerade pleitegegangen, andere drohten in die Knie zu gehen, die gewagt gebastelten Schaumgebilde aus faulen Krediten, die den US-Immobiliensektor getragen hatten, waren zusammengefallen wie ein ganz schlechtes Soufflé. Und damit auch das Glaubenssystem, das unsere Wirtschaftsordnung trägt, denn was ist Kredit anderes als Glauben. War zusammengebrochen, so wie knapp zwanzig Jahre zuvor der Kommunismus zusammengebrochen war. Beide kollabierten an innerer Auszehrung, an moralischer Entkräftung.
Doch noch stehen wir am Anfang der Katastrophe, noch ist sie nur als Grollen vernehmbar und als erster Kurssturz- und Paniktag (dem viele weitere folgen werden), und so wird erst mal weiter gefeiert auf der Campus -Fete, und zwar mit Bildern aus glücklicheren Tagen. Über einen Beamer wird der Woodstock-Film auf eine aufgespannte Leinwand projiziert. Höhlenbilder der Popkultur. Die Nackten und die Haarigen, die Elterngeneration bekifft im Schlamm!
Das ist eine interessante Doppelbelichtung an diesem Abend. Damals haben sie, die Eltern, reichlich bedröhnt die Ankunft eines neuen Zeitalters gefeiert, und jetzt, vierzig Jahre später,
genau an diesem 7. Oktober 2008, geht das der Babyboomer zu Ende: Die Börsen rund um die Welt rauschen in die Tiefe, trotz hastiger Milliardeninfusionen durch Regierungen, und alle ahnen, sie werden weitersacken, und das Gefühl der Stunde ist das Gegenteil von Schwärmerei.
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Eigentlich ist Börse kein Thema für Leute Mitte zwanzig, doch an diesem Tag ist sie das. Sie ist es schon eine ganze Weile. Vielleicht ist die Börse für diese Generation das, was Vietnam für die Woodstock-Generation der Eltern war: Diskurs-Schlachtfeld, Glaubensfrage, Freund-und-Feind-Bestimmung, System-Lyrik, Kapitalismus-Kritik.
Ach, es wird schon wieder. Philipp, der Kolumnist, ist krisenerprobt, ein Crash-Veteran bereits mit Mitte zwanzig. »Ich habe gerade angefangen zu studieren, als die Internet-Blase platzte.« Er glaubt an den Fortschritt. »Ich bin Hegelianer.« Come to the dance floor.
Man rückt zusammen am nächsten Morgen, und gleichzeitig bleibt man am besten unter sich. Am Hamburger Hauptbahnhof steht der Zug nach Berlin, und an einem Vierertisch der Ersten Klasse unterhalten sich Geldmacher übers Geldmachen. Meistens schütteln sie die Köpfe. Der DAX steht schon wieder an der Kante und überlegt sich, wie tief er heute springt. Hinter ihnen sitzt einer allein, missmutig.
Ein Mann im dicken Pullover kommt durch den Mittelgang, über der Schulter eine Umhängetasche mit der Obdachlosen-Zeitschrift Straßenfeger . Er sammelt für eine neue Teestube. Die Vierergruppe ignoriert ihn, der missmutige Einzelne schnarrt: »Kann ich mal Ihren Ausweis sehen?«
»Klar«, sagt der Obdachlose und sucht. »Hamwer gleich.« Die beiden sind ungefähr gleich alt. »Hier ist er«, sagt der Obdachlose schließlich triumphierend. Der Missmutige nickt grimmig. Er zückt das Portemonnaie und gibt großzügig. Es ist ja nicht so, dass man nicht gerne geben würde, aber es muss alles seine Ordnung haben. Deregulierung bitte nur dort, wo sie volkswirtschaftlich sinnvoll ist.
Im Speisewagen löffelt ein älterer Herr an seiner Gemüsesuppe. Pfeffer&Salz-Sakko, ein Bier, lange Blicke hinaus über die Felder, als wir auf offener Strecke sind. Rattatt, rattatt, rattatt, er schaukelt im sanften Schaukeln des Zuges, er wirkt bescheiden, freundlich, wirkt nach einem arbeitsreichen Leben, was mag er tun? Wirtschaftsprofessor, Gärtner?
Er besitzt ein Autohaus, das nun die Söhne führen. »Das letzte Jahr war fürchterlich.« Die Banken finanzieren nichts mehr. Und jetzt haben Opel und BMW und Daimler beschlossen, vorerst die Produktion zu stoppen, weil keiner unter diesen Umständen noch Autos verkauft. »Stellen Sie sich vor, die Deutschen hören auf, Autos zu bauen.«
Er kam fünf Jahre nach dem Wallstreet-Crash zur Welt. Er hat mehrere Währungsreformen miterlebt, sogar die in der DDR 1953 ist ihm noch im Gedächtnis, denn da standen plötzlich sowjetische Soldaten auf den Straßen.
Draußen fliegen Felder vorbei, eine kleine Ortschaft, eine Plattenbausiedlung mit zerstörten Fenstern. »Am besten kommt man mit Immobilien über die Runden«, sagt er, »aber auch da muss man aufpassen.« Dann
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