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Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Titel: Das katholische Abenteuer - eine Provokation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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sind, lesen ihren Kindern Teile dieser großen Erzählung aus der Kinderbibel vor.
    Wir lesen uns die Geschichten vor, weil wir ahnen, dass eine Gesellschaft ohne christlichen Glauben, ohne Ehrfurcht vor dem Höchsten und dem Mitmenschen und dem Wunder der Schöpfung, dehumanisiert. Ohne Glauben geht es nicht. Im Osten Deutschlands glaubt nur noch ein Drittel der Menschen. Im Westen sind es noch zwei Drittel. Meine Frau ist im Osten groß geworden. Sie ist nicht katholisch, und sie ist es auf ihre Weise doch: Ihre Vorstellung von Gott stammt aus der Sixtinischen Kapelle. Bisweilen stellt sie sich eine große Hand vor, die sie trägt.
    Sie findet die Abschaffung des Religionsunterrichtes in Berlin bedauerlich. Ich halte sie für einen Skandal. Warum? Weil die christliche Religion Teil unserer jahrtausendealten Kultur, Teil unserer Identität ist. Man sollte den religiösen Analphabetismus nicht auch noch durch den Staat fördern. Das Fach »Ethik« ist ein blasser Ersatz für Glauben. Es enthält längst nicht den Glutkern der Religion, auch nicht die Poesie und Farbigkeit und Überzeugungskraft der biblischen Geschichten. Ethik hat mit Religion so wenig zu tun wie der Verfassungspatriotismus mit Nation – es fehlt die Emotion, die eine Gruppe, ein Volk zusammenbindet, es fehlt das Zugehörigkeitsgefühl, die Identität einer großen Gemeinschaft.
    Dabei schienen die Vorzeichen für eine Renaissance der Religion gegeben. Sie begann mit der Korrosion des Kommunismus in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Wie groß die Sprengkraft des Glaubens sein kann, wurde in den polnischen Protestbewegungen gegen die stalinistischen Apparatschiks vorgeführt. Die wissenschaftliche Weltanschauung, die die Unaufgeklärtheit der Vorläuferjahrhunderte endgültig aufheben sollte, war ja so sichtbar gescheitert. Sie war in Unterversorgung und Massengräbern bruchgelandet.
    Nie hat eine Religion derartig gewütet und verheert und gemordet wie die Religion des Atheismus, bei den Nazis genauso wie bei den Kommunisten. Wie inhuman die Züchtungsidee vom »neuen Menschen« tatsächlich war, wie sehr die Wissenschaftlichkeit der atheistischen Weltanschauungen selber einen verfratzten Gottesersatz im ideologischen Hokuspokus produzierte, haben die Opfer des Stalinismus über mehrere Jahrzehnte hinweg erleben und bezahlen müssen. Und sie haben gelernt, dass die Kraftquellen zum Widerstand vor allem von der Religion bereitgestellt wurde, wie zum Beispiel in der Figur des Lager-Priesters in Grossmans gewaltigem Roman Leben und Schicksal. Immer wieder sind es in der Schreckenswelt des Krieges, der deutschen KZs und der sowjetischen Gulags die Beispiele von nahezu unbegreifbarer Güte und Menschlichkeit, die leuchten.
    Reichen dafür biogenetische Erklärungen aus?
    Ohne den polnischen Katholizismus und seine charismatische Führerfigur Johannes Paul II. wäre der Ostblock nicht, oder erst sehr viel später, zusammengebrochen. Sind die egoistischen Gene, Mr. Dawkins, vielleicht doch heimlich fromm? Oder war es vielleicht nur der unwissenschaftliche beseelte alte Glaube, der hier Berge versetzt und gleich mehrere Diktaturen erledigt hat?
    Jetzt scheint sich aber eine neue Diktatur etabliert zu haben, nämlich die Spießigkeit einer Habsuchtsgesellschaft ohne jede Transzendenz, das heißt: ohne Hoffnung. Wir erleben den grassierenden religiösen Analphabetismus und das spirituelle Desinteresse der westlichen Überflussgesellschaft. Doch selbst diese Gesellschaft kommt, gegen alle wissenschaftlichen Ausnüchterungen, ohne Glauben nicht aus. Zumindest nicht ohne dessen Travestie. Das gilt insbesondere für die Hedonistenmeute, die in den Börsensälen der Welt unterwegs ist.
    Nirgendwo wird so sehr in der Sprache der Religion geredet wie in der Finanzwelt mit ihren Gurus, ihren Prophezeiungen, ihren Zukunftsprognosen. Hier, unter dem Schein höchster Rationalität, wird am innigsten geglaubt. Fällt der Glaube weg, kollabieren Gesellschaften, brechen Ordnungen zusammen, geht insbesondere die Wirtschaft in die Knie, die von nichts als Glauben lebt, wie wir in den Oktobertagen 2008 erfahren haben.

Weltuntergang
    Ein Oratorium in fünf Tagen und acht Aufzügen aus den Tagen des großen Crash. Und mittendrin ein Gespräch mit Martin Walser über Glauben und Geld
     
     
     
    Der Untergang des Kapitalismus hat ein ganz übles Timing gewählt, und zwar genau den Tag, an dem die Redakteure der Studentenzeitschrift Campus ihr zweijähriges Jubiläum

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