Das katholische Abenteuer - eine Provokation
»inzwischen« deutete er an, dass der Islam noch keine lange Geschichte bei uns hat und nicht gerade das kulturelle Erbe bestimmt. Mit »auch« stemmte er den Raum zwischen den beiden anderen monotheistischen Religionen frei. Puh, das wäre erledigt. Mit anderen Worten: Jetzt bitte Schluss mit der ganzen Sarrazin-Debatte. Und unter allseitiger Umarmung möge nun bitte der Vorhang fallen.
Der Rest der Ringparabel
Was Wulffs Beschwichtigungsformel nicht verhüllen konnte, war, dass es sich lediglich um ein politisches Manöver handelte. Und es war nur folgerichtig, dass sie durch eine noch absurdere Formel einige Wochen später ergänzt werden musste, und zwar im Rahmen seines Staatsbesuchs in der Türkei, als er in spiegelverkehrter Konsequenz sagte: »Natürlich gehört das Christentum auch in die Türkei.« Das sahen die Türken aber dann doch ganz anders, jetzt und in den vergangenen hundert Jahren, und die Floskel verwehte folgenlos in der Höflichkeit gutgemeinter Staatsbesuchsgesten. Nur Cem Özdemir erkannte prompt, dass mit dem erklärten Wegfall religiös-kultureller Unterschiede die letzten Hindernisse für einen Beitritt der Türkei in die europäische Gemeinschaft gleich mitgefallen seien.
Umfragen zufolge lehnten zwei Drittel der befragten Deutschen die Kernaussage der Wulff’schen Rede ab. Und das türkische Parlament war zur Hälfte leer, als Wulff seine Rede hielt – die war nämlich schon vorher verteilt worden, mitsamt ihrer Anweisung, das Christentum zu umarmen. Die neue Ringparabel eierte gewaltig. Es scheint so etwas zu geben wie eine
ideengeschichtliche und religiöse DNA, die verteidigt wird, wie sehr auch immer sie gelitten hat in einer globalisierten Welt. Religion scheint ein wichtiges Identitätsmerkmal zu sein, das sich nicht einfach wegschminken lässt.
Vielleicht hätte der Präsident stattdessen tun können, was Wallraff tat: vor der »schleichenden Islamisierung« in der Türkei warnen, der immer mehr kritische Intellektuelle zum Opfer fallen. Woher dieses Engagement Wallraffs für die Menschenrechte? Einfache, klare Antwort Wallraffs: »Ich bin christlich geprägt.«
Heute leben in der Türkei noch rund 100 000 Christen. Vor hundert Jahren waren es zwei Millionen. Christen dürfen keine neuen Kirchen bauen, viele alte sind nur noch als Museen zugelassen. Christen werden schikaniert. Einige Monate zuvor war Luigi Padovese, der ranghöchste katholische Bischof der Türkei, von seinem moslemischen Fahrer nach einer »religiösen Eingebung« getötet worden. Das Christentum ist marginalisiert in der Türkei.
Umgekehrt kann es dagegen keinen Zweifel daran geben, dass der Islam in Deutschland, in asymmetrisch großem Maße, Fuß gefasst hat. Die Türken, die zu uns kommen, nehmen ihre Religion mit. Es gibt – von unzähligen »Hinterhofmoscheen« abgesehen – 2600 offizielle Moscheen in Deutschland, davon 206 Großmoscheen mit Minarett. Allein die DITIB, der türkischmuslimische Dachverband, betreibt ungefähr 850 Moscheen. Neben türkischen und saudischen Geldgebern ist auch der deutsche Staat als Finanzier beteiligt. Die Imame der DITIB mischen sich ein, sie üben über die in der Türkei entworfenen Freitagsgebete hinaus einen erheblichen Einfluss auf deutsche Großstädte aus, in denen es vielfach Stadtteile gibt, in denen nur noch türkisch gesprochen und gebetet wird.
Und es wird gebetet. Von der Intensität moslemischer Glaubensausübung können katholische Pfarrer in ihren Sonntagsgottesdiensten vor den halbleeren Bankreihen nur träumen.
Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass Wulffs Reisen in Sachen Ringparabel ihn schließlich nach Jerusalem
geführt haben, den Ursprungsort, den Theaterort, den Kreuzzugsort. Und dort zollte er dann, ganz Nathan, der dritten monotheistischen Religion Tribut und beschwor mit wirksam-belegter Stimme – und gleichzeitig völlig unsinnig –, dass man doch »das Judentum stärken« sollte in Deutschland. Sollte man denn nicht wenigstens das den Rabbis und den jüdischen Gemeinden überlassen? Kann ein Bundespräsident auch darüber verfügen?
Die Heimatfront
Doch zurück zum islamistischen Furor und unserer kompletten Hilflosigkeit davor. Sprechen wir von unserer eigenen religiösen Leerstelle. Es ist ein weißglühender Glaube, der uns da entgegentritt und so merkwürdig ins Leere einer permissiven religiös desinteressierten Gesellschaft greift.
Häufig sind es Konvertiten, die am aggressivsten auftreten. Beispiel
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