Das katholische Abenteuer - eine Provokation
geblieben«. Gleichzeitig warfen sie Kreuze in die Spree. In dem Fall griff kein Außenminister zum Telefon. Meldete sich kein Militärchef, kein Leitartikler zu Wort. Nicht mal dem Spandauer Volksblatt war die Aktion fünf Zeilen wert. Ab und zu ist es notwendig, auf die Asymmetrie in der Behandlung von Religionen in unserer säkularisierten Gesellschaft aufmerksam zu machen.
Natürlich hätten sich die Aktivisten, die da für das »Recht auf Familienplanung« und gegen eine »rigide Sexualmoral« marschierten, ebenso gut gegen den Islam austoben können, der eine noch wesentlich sittenstrengere Angelegenheit ist. Aber nein: Die mutigen Frontkämpfer gegen den »Fundamentalismus« nahmen sich die Vertreter des langmütigen und kränkungsgewohnten Christentums in Deutschland vor.
Der Papst der Randschärfe
Es war der Papst, der den Dialog mit dem Islam suchte, und er tat es, einige Jahre vor Wulff, ohne taktische Einbindungsversuche und staatsmännische Kosmetik. Er tat es als Gelehrter. In seiner Regensburger Rede von 2006 sprach er den mangelhaft entwickelten Toleranzbegriff des Islam an, den er mit einem Zitat aus einer historischen Debatte belegte. Es stammt von dem byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaiologos, der sich äußerst schroff zum Verhältnis von Religion und Gewalt äußert. Er sagt: »Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.« Die Rede des Papstes schien geradezu gemünzt auf den iranischen Präsidenten, die Hisbollah, die Al Qaida und alles, was die islamischen Terrornetzwerke der Welt so auf ihre Propagandaseiten stellen und den von Huntington beschriebenen Krieg der Zivilisationen derzeit unterfüttern.
Die Intention des Papstes in seiner Vorlesung war klar: Er war um Randschärfe bemüht. Er stellte fest, dass man, erstens, den Glauben nicht mit Gewalt verbreiten dürfe. Und dass der Glaube, zweitens, durchaus mit der Vernunft vereinbar sei, ja, dass die Vernunft eine Gottesgabe sei, die man nutzen müsse, auch im Glauben. Neben all diesem war es auch eine Einlassung über religiöse Identitäten, über die christliche und über die davon verschiedene islamische.
Die Reaktionen? Rage, zunächst. Es gab einen Mordaufruf von Al Qaida. Der iranische Ayatollah Ali Chameini nannte die Papstrede das »letzte Glied eines Komplotts für einen Kreuzzug«. In Mogadischu wurde eine italienische Nonne ermordet. Die Westbank demonstrierte. Der Papst, erschrocken, erklärte sich, bedauerte das Missverständnis, sich die Worte des byzantinischen Kaisers zu eigen gemacht zu haben. Er habe nur auf den wesentlichen Zusammenhang von Glaube und Vernunft hinweisen wollen.
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Doch es gab auch Zustimmung. Der Papst wurde zu seinem Mut und seiner Genauigkeit durchaus respektvoll beglückwünscht. Reformorientierte Muslime wie der Schriftsteller Abdelwahab Meddeb stellten sich hinter ihn: »Er darf keinesfalls den Disput abmildern und sich einschüchtern lassen. Er hat sich schon zu sehr entschuldigt.« Die Rede wurde von 138 muslimischen Geistlichen zum Anlass genommen, in einem 29-seitigen Brief zu einem Dialog zwischen Christentum und Islam aufzufordern. Historisch. Erstmals hatten sich hier die Führer verschiedener islamischer Richtungen aus verschiedenen Ländern zu einer gemeinsamen Erklärung zusammengefunden. Da war etwas ins Rollen gekommen.
Doch auch in unseren Feuilletons war etwas ins Rollen gekommen. Allerdings völlig anders als erwartet. Mehr und mehr setzte sich in den Nachbetrachtungen die Meinung durch, der Papst sei »instinktlos« gewesen und seine Rede eine Unverfrorenheit der muslimischen Welt gegenüber. Interessanterweise waren das oft die Gleichen, die zuvor die Mohammed-Karikatur mit der Bombe im Turban verteidigt hatten, ja, die islamistischen Proteste dagegen im Namen der Meinungsfreiheit ausdrücklich verurteilt hatten.
Aber hier nun schlug der antipapistische Reflex der linksliberalen Presse durch. Und dann tat man, was man in solchen Fällen immer tut: Man wies auf die lange Geschichte christlicher Glaubenskriege und Kreuzzüge hin, auf die Inquisition, die Hexenverbrennung, auf den ganzen großen Sündenkatalog christlicher Verstöße gegen Vernunft und Toleranz, ohne überhaupt Notiz davon zu nehmen, dass Papst Benedikt sich und die Kirche, die er im Kopf hat, gerade auch davon distanzieren wollte – Glaube und
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