Das katholische Abenteuer - eine Provokation
Nathan geben. Doch er hat das Gegenteil von Versöhnung erreicht. Denn plötzlich hatte er eine Debatte über religiöse
Identitäten und ihre Unterschiede eröffnet, eine, die alle überrumpelte. Bischöfe schalteten sich ein, Kabinettsmitglieder, Leitartikler, Leserbriefschreiber. Rund zwei Drittel der befragten Deutschen lehnten die Wulff’sche Kernaussage rundweg ab. Diese nämlich lautete: »Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.«
Nun ist Wulff kein Lessing. Vielleicht war er noch nicht mal richtig Wulff, als er zum Pult schritt, um mit schönem Scheitel schöne Gedanken auszusprechen und eben diesen Satz. Man hörte ihm förmlich an, wie er in die Rede geschraubt worden war, mit zwei, drei Anlaufsätzen: ein Statement, eine Integrationsformel, ein Beschwichtigungssatz, der ins Goldene Buch des guten Deutschen eingehen sollte.
Was war daran nur falsch? Alles. Man sah dem Satz das Erzieherische an. Es war dann doch kein Versöhnungs-, sondern ein Rechthabersatz. Er ließ sich als Anweisung lesen. Der Islam gehört zu Deutschland, basta. Er war wohl als Schlusswort zur Sarrazin-Debatte gedacht, in der sich der Präsident ja mit einer ganz unpräsidentenhaften, nicht ganz demokratischen Intervention fast die Finger verbrannt hätte.
Nein, Wulff, dem Katholiken, ging es nicht um Religion. Es war der Versuch, aus einer Lessing’schen Geste innenpolitisches Kapital zu schlagen. Ein Satz aus der Religionsmärchenstunde.
Das Publikum sagte sich: Moment, »der Islam« gehört also zu Deutschland? Aber welcher? Der des kunstliebenden afghanischen Arztes oder der, von dessen Poesie Goethe in seinem West-östlichen Divan so fasziniert war, oder der der Koranschule oder der Moschee unter Terrorverdacht? Der Islam des halal schächtenden Metzgers oder der verhüllten Mädchen oder der Ehrenmörder? Der Islam, von dem wir in den Terrornachrichten aus aller Welt hören, oder der Islam der christenmordenden Bombenkommandos oder der iranischen Ayatollahs, die zur Vernichtung Israels aufrufen?
Der Präsident sagte nicht: Der Islam ist bereits in Deutschland, ob es euch passt oder nicht! Er sagte: »Aber der Islam
gehört inzwischen auch zu Deutschland.« Diese Formel setzte Fragen in Gang. Gehört der Islam tatsächlich zu uns? Ist uns der Kölner Dom nicht doch näher als die Moschee in Duisburg? Die sich daran logisch anschließende Frage wäre: Was gehört denn eigentlich zu Deutschland? Und da wurde eine interessante Leerstelle deutlich, die einige Wochen später von der Bundeskanzlerin selbst benannt wurde, als sie auf dem CDU-Parteitag ausrief: »Es gibt nicht zu viel Islam in Deutschland, sondern zu wenig Christentum.«
Unter dem Eindruck des Islamismus also forderte die Kanzlerin die Christen des Landes dazu auf, Farbe zu bekennen. Sie ging mit gutem Beispiel voran. Beziehungsweise wurde durch die Dynamik ihres Arguments dahin geschubst. Ob ihr das tatsächlich recht war? Oder hat sie nicht doch nur mit einem leicht höhnischen Unterton das Verlangen nach konservativchristlicher Politik und religiöser Identität so abgefertigt?
Es ist interessant, wie Wulffs Aussage rhetorisch vorbereitet wurde. Er machte einen Dreisatz daraus. Er wusste um die Hürde. Er nahm Anlauf, und schon der war holprig. Er sagte zunächst: »Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. « Nun ja, möchte man in Zeiten beschleunigter Kirchenaustritte murmeln, wenn er denn meint, dann soll es wohl so sein, schön, dass er uns erinnert.
Ganz in Lessings Spur fuhr er fort, als seien wir das umstrittene und umkämpfte Morgenland der heiligen Stätten: »Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland.« Hm, da wird es schon auf geschichtsvergessene Art problematisch, möchte man einwerfen. Eine Zeitlang haben die Deutschen doch sehr versucht, das Gegenteil zu beweisen. Wacklig das Ganze, bisher, aber der Zweck heiligt wohl die Mittel, nur, was ist der Zweck?
Vorerst sichert sich unser Präsident in seiner Steilwand politreligiösen Diskurses erst einmal ab durch eine Wiederholung, er schlägt einen zusätzlichen rhetorischen Haken ein, sozusagen. Er fasst zusammen: »Das ist unsere christlich-jüdische
Geschichte.« Nicht ganz so elegant wie Lessings Nathan, eher das Deutsch der Redenschreiber, aber immerhin.
Bis hierhin erst mal geschafft. Ausruhen. Vorbereiten für den rhetorischen Gipfelsturm. Und dann kommt er: »Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.« Eine taktische Meisterleistung. Mit
Weitere Kostenlose Bücher