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Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Titel: Das katholische Abenteuer - eine Provokation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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Scharia, die zahllosen Verrichtungen …
    SAFRANSKI: All das. Der Unterschied zwischen »heißer« und »kalter« Religion ist aber auch der Unterschied zwischen »Erlösungsreligion« und »Zivilreligion«, das ist vielleicht deutlicher. Das wäre in etwa der Weg, den das Christentum genommen hat, das ja mal als »Erlösungsreligion« begonnen hat und dann zur »Zivilreligion« abgekühlt ist.
    Man kann also sagen, die autoritäre theokratische Religion ist machtpolitisch heiß, aber die zweite Bedeutungskomponente von »heiß« wäre dann die glühende Naherwartung der »Erlösungsreligion«, die der »Zivilreligion« gegenübersteht.
    Das Christentum hat in seinen frühen Tagen heiß daran geglaubt, dass die Erlösung nahe ist. Es gab daher nur eine provisorische Welteinbürgerung, das Gefühl, dass unser Erdenleben nur ein Transitraum ist und dass der eigentliche Raum woanders liegt. Von dieser Naherwartung hat das Christentum lange gelebt. Es hatte dann aber mit der Zeit das Problem der Entfristung. Was macht man, wenn man die Frist der Wiederkehr immer weiter hinausschieben muss?
    MATUSSEK: Die Bergpredigt ist tatsächlich ein Dokument der Naherwartung und keine Spielanleitung für den Sozialstaat 2000 Jahre später. Da steht: Was sorget ihr euch um euer irdisches Dasein, was wollt ihr noch Häuser bauen, wenn ihr morgen im Himmelreich seid?
    SAFRANSKI: Das ist eine bemerkenswerte Fähigkeit, die wir Menschen haben, dass wir derartig die Immanenz überschreiten können und uns schon als Bürger einer anderen Welt sehen können, das ist schon ungeheuerlich. Ich habe übrigens den Verdacht, dass dieses – ich nenne es mal: metaphysische – Talent, das die Menschen in der Geschichte bewiesen haben, dass dieses Talent deshalb jetzt etwas abnimmt, weil das Bewohnen virtuell anderer Räume so ein trivialer Massensport geworden ist in der Medienkultur. Diese religiöse
Fantasie ist durch die digitale Trivialisierung enorm geschädigt worden.
    MATUSSEK: Wir lesen nicht mehr über die letzten Tage in der Apokalypse des Johannes, sondern wir sehen sie, in Videokonsolen oder im Kino. Wir können der großen Endschlacht zwischen Gut und Böse beiwohnen in diesen digitalen Ersatz-Andachtsräumen.
    SAFRANSKI: Stellen Sie sich vor, man hätte damals Fernsehen gehabt und sehen können, wie Paulus da durch den Mittelmeerraum gefegt ist, da wäre es doch gar nicht möglich gewesen, auf den Tag X zu warten, denn den hätten sich Sie doch vorher schon mal runterladen wollen.
    MATUSSEK: Ich wollte noch mal auf die Bergpredigt zurück, die ja eindeutig über den Horizont der letzten Tage hinaus gerichtet war. Da heißt es: »Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben«, das passt nicht in die heutige Ellbogengesellschaft. Oder: »Seht euch die Vögel des Himmels an, sie säen nicht, sie ernten nicht, und sammeln keine Vorräte in Scheunen: euer himmlischer Vater ernährt sie.« Das sind ziemlich lebensunpraktische Anweisungen.
    SAFRANSKI: Sie sind nur auf kurze Fristen angelegt, bis der Moment kommt. Das ist so, wie wenn heute Mittag Gäste kommen und man sagt den Kindern: Bis zum Eintreffen der Gäste wird hier nicht gespielt, hier muss alles sauber bleiben, das halten die Kinder kaum aus … Und bei der urchristlichen Gemeinde müssen wir uns das sehr konkret vorstellen, das kann morgen oder übermorgen der Fall sein, aber auf jeden Fall in den nächsten dreißig Jahren, und dass man dann in einer ganz anderen Veranstaltung ist, nicht nur inwendig, sondern ganz konkret.
    MATUSSEK: Aber es gibt, Sie deuten es an, auch die innere Erlösung.
    SAFRANSKI: Ja, nachdem das Weltende und das Himmelreich auf sich warten lassen, wird der Moment nach innen verlagert. Also erstens die autoritäre Religion, zweitens die Naherwartung,
jetzt aber wird dieses Reich Gottes zur Vorstellung, zu einer Erlösung, die auf den inneren Schauplatz verlegt wird.
    Das geschieht durch den Protestantismus. Das Reich Gottes ist innen. Auch das ist zunächst eine recht heiße Geschichte. Du bist auf einmal ein ganz anderer. Max Frisch in Stiller: »Ich bin nicht Stiller.« Jetzt versuche ich einen neuen Anfang zu setzen, das ist das Charisma der Bekehrung. Die innere Bühne dreht sich, und ohne dass du dein Zimmer verlässt, ist das Leben doch ganz anders. Du bleibst in der gleichen Veranstaltung, aber du hast dein inneres Leben um 180 Grad gewendet, und schon bist du in einer vollkommen anderen Gesellschaft. Das habe ich bei den

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