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Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Titel: Das katholische Abenteuer - eine Provokation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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dem anderen. Es gab interessante Wege für mich. Wir sind auf dem Gang zur Bibellesung immer an einem Kino vorbeigekommen, da gabelte sich sozusagen der Weg ab ins Weltliche.
    MATUSSEK: Das ist ja wie auf diesen Katechismus-Bildchen, der schmale Weg der Tugend und der breite bequeme Weg in die Sünde und ins Verderben.
    SAFRANSKI: (lacht) So ähnlich. Aber es hatte seine Stimmigkeit, seine Wahrheit. Man tauchte in diese Sphäre ab, aber man kam auch wieder raus. Ich kann’s nicht jedem empfehlen, aber bei mir war es vielleicht ein Glücksfall, dass es nicht zu einem Problem wurde, sondern zu einem Gewinn an Freiheit geführt hat. Aber dieses Schema »geistig-weltlich«, das ist bei mir auch so geblieben. Dass ich auf der einen Seite alles Geistige zu schätzen weiß, dass ich aber aufpassen muss, dass ich
den Leuten, die sich mehr für das Weltliche interessieren, nicht fremd werde.
    MATUSSEK: Das protestantische Prinzip »sola scriptura« ist Ihnen geblieben, auch später, als es um weltliche Erlösungsformeln ging, also als man die Exegese der marxistischen Klassiker, der marxistischen Evangelien und frohen Botschaften betrieb in der KPD, der Sie sich dann zugewandt haben. Da gab es ja diese fantastische Buch-Besessenheit.
    SAFRANSKI: Ja, das war der Moment in meiner Lebensgeschichte, wo mir das Gefühl der Wiederkehr dieser alten Struktur am deutlichsten wurde. Das Geistliche, das ich bei meiner pietistischen Großmutter erlebt habe, das war dann der Marxismus. Wir waren die Kader, die an der Welterlösung mitarbeiteten, und die anderen lebten da unerlöst und sorglos und verblendet im Kapitalismus, in der Welt.
    MATUSSEK: Kann man sagen, dass auch der Marxismus eine heiße Religion war, bis er entfristet wurde über die Generationengrenze in die Zukunft? Er wurde zur Sache der Nachkommen, man starb auf der Barrikade für die befreiten Enkel.
    SAFRANSKI: Er war ein Mehrgenerationenprojekt, richtig. Dazu kommt ja eine fast mönchische Lebensweise, zumindest bei uns, da lebte man ja fast asketisch, man nahm unglaubliche Arbeiten auf sich, um Flugblätter um vier Uhr vor den Werkstoren zu verteilen, man hatte Arbeitspläne von 14 bis 15 Stunden am Tag, man rackerte rund um die Uhr, es war ein dienender Asketismus, ganz antihedonistisch, eigentlich war es eine Gegenbewegung gegen den linken Hedonismus von ’68, auch gegen die antiautioritäre Phase, man war eine Mischung aus Missionar und Angestelltem in diesem Projekt. Nun gut, man lebte nicht gerade zölibatär, aber man hat ja auch eine ganze Menge Opfer gebracht, auch Karriereopfer.
    MATUSSEK: Ich hatte in meinem Zimmer in der WG noch lange vor dem Marx-Plakat eine Madonnenfigur.
    SAFRANSKI: Für mich lag diese andere Welt in der Literatur. Ich las meinen Proust, ich las Schopenhauer damals, also das,
was mich auch sonst damals so interessierte, das ist, ohne dass ich es richtig verbinden konnte, weitergelaufen. Also diese Art, in zwei Welten zu leben, habe ich als Kind geübt, und dann später auf die andere Art auch fortgesetzt.
    MATUSSEK: Sie haben mal gesagt im »Philosophischen Quartett«, man müsse den Katholizismus schon aus Gründen kultureller Gedächtnispflege erhalten …
    SAFRANSKI: Schon aus diesem Grund, richtig. Ein Weltkulturerbe, sozusagen.
    MATUSSEK: Nun stehen gerade die Traditionen der katholischen Kirche unter Beschuss. Allem voran der Zölibat. Soll die Kirche daran festhalten oder nicht?
    SAFRANSKI: Der Zölibat ist ja freiwillig, es wird keiner gezwungen, Priester zu werden. Im Übrigen ist er nicht bibelbegründet, sondern traditionsbegründet. Aber er hat schon einen tieferen Sinn.
    MATUSSEK: Jesus hat sich ja durchaus antifamiliär geäußert. Er sagt: Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein. SAFRANSKI: Als der Zölibat dann eingeführt wurde, hatte das zunächst ganz triviale Gründe, es ging um Erbfolgen. Aber nicht nur. Diejenigen, die der katholischen Kirche übel gesinnt sind, ziehen immer nur diesen Erbaspekt heran, weil sie eben nur materialistische Gründe verstehen. Nein es ging von Anfang an auch um die spirituelle Komponente, dass die Liebe, die zwischen den Menschen ist, dass diese Liebe in den Corpus Christus eingeht und das andere in die Gemeindearbeit. Dass das Liebesvorkommen eben auf diese beiden Säulen verteilt wird. Also das ist eine nachvollziehbare, hochgesinnte Begründung. Ich sehe

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