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Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Titel: Das katholische Abenteuer - eine Provokation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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Menschen aufzufassen als jemanden, der in sich einen Kredit trägt und damit auch richtig umgehen muss. Der bessere Teil an dir ist etwas, das dir selbst nicht gehört.
    MATUSSEK: Mit Augustinus’ Erbsündenlehre kam ein neuer Automatismus ins Spiel, eine Beschränkung der Freiheit. Das Christentum hat das ganze Mittelalter hindurch gebraucht, um sich von dieser Augustinischen Schreckenstheologie zu erholen.

    SAFRANSKI: Ja, da kam ein neuer Determinismus ins Spiel, das verband sich dann mit dem Karma-Denken und so weiter, davon müssen wir runter. Es gibt aber diesen einen Aspekt in der Erbsündentheorie, der wichtig wird, wenn man den umformulieren kann. Nämlich dass die Erbsünde so etwas bedeutet wie eine Anfälligkeit für Selbstverfehlung. Und dass diese Anfälligkeit sehr tief in uns sitzt. Dafür müssen wir wach bleiben. Das müsste man tüchtig umformulieren, das klingt dann anders als die hergebrachte Erbsündentheorie, aber man kann es machen, sodass es dann doch wieder eine wahren, einen humanen Kern bekommt.
    MATUSSEK: Auf jeder dieser Abstufung nach unten gibt es mehrere Trivialisierungen. Auch von Schuld spricht ja keiner mehr. Schuldgefühle gelten als etwas Krankhaftes, das man mit Hilfe von Fachleuten wegtherapiert. Aber lassen Sie uns die Skala nach oben steigen, ins Helle. Von Gottfried Benn gibt es ein spätes Gedicht, in dem er sein Erstaunen über das Gute in der Welt zum Ausdruck bringt. Ist das Gute eine Art Gottesbeweis?
    SAFRANSKI: Alles Sanfte, alle Selbstlosigkeit, alle Hilfsbereitschaft, die ja mit dem Guten verknüpft sind, haben immer etwas Unwahrscheinliches, wenn sie geschehen. Das Gute hängt mit dem Gelingen zusammen. Wenn jemand ein gelingendes Leben oder einen gelingenden Lebensabschnitt führt, wenn wir diesem Stück Leben ein Gelingen zusprechen. Das Gute in der religiösen Tradition heißt ja nicht einfach, dass es dir gutgeht, sondern dass du durch dein Verhalten und deine Art mithilfst, das ganze Bild der Ordnung aufrechtzuerhalten, in das man eingefügt ist. Das ist immer in dem religiösen Begriff des Guten enthalten, es ist fest geknüpft an Gott, da ist immer eine ganze Ordnung des Lebens gemeint.
    MATUSSEK: Wenn wir im »Vater unser« beten »Dein Reich komme, dein Wille geschehe«, wird diese Ordnung beschworen.
    SAFRANSKI: In dieser religiösen Sprache ist das vollkommen ausgedrückt. Das Ideal des Guten der christlichen Tradition
bedeutet, schon inwendig an diesem Reich Gottes mitzubauen, das ist der Gedanke.
    MATUSSEK: Wenn ich mal zusammenfasse: Sie sagen, dass wir in unserer Stellung zum Leben nicht ohne Glauben auskommen, nicht ohne Moral und letztlich auch nicht ohne Religion, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen. Sie zitieren in Ihrem Essay Max Weber, der sagt: »Jeder entdeckt irgendwann den Dämon, der seines Lebens Fäden zusammenhält.« Dann aber sprechen Sie die Warnung aus, dieser Dämon solle nicht zum Tyrannen werden.
    SAFRANSKI: Ja, hier müssen wir unterscheiden. Ich hatte ja einleitend schon darüber gesprochen, wie sehr mir der religiöse Bezug einen geistvollen Relativismus erlaubt gegenüber allen möglichen Ideologien, eine Lockerung von festgemauerten, flachen, eindimensionalen Konzepten. Für mich ist der religiöse Bezug also ein öffnender Bezug.
    Aber die Wirklichkeit ist sehr kompliziert. Die Situation stellt sich natürlich ganz anders dar in anderen Weltgegenden. Im Islam, wo wir mit der Wucht staatlicher Organisationen konfrontiert sind, die verschmolzen sind mit theonomen Institutionen der islamischen Religion, ja mein Gott, das mutet mir wie ein Gefängnis an, damit würde ich nicht leben wollen. Dort ist Religion also das Gegenteil von dem, was mich bei uns an die befreiende Kraft von Religion glauben lässt.
    MATUSSEK: Wir haben ja auch heiße religiöse Ströme innerhalb unserer Gesellschaft. Wie sollen wir damit umgehen? Vielleicht sind ja heiße Strömungen in einer kalten Gegend auch ein Gewinn? Weil sie eine Ahnung davon vermitteln, was bei uns verloren gegangen ist?
    SAFRANSKI: Es ist ein Zweifrontenkrieg. Auf der einen Seite muss man sich von dieser mit staatlicher Macht ausgestatteten Religion befreien. Muss Abstand gewinnen zu diesen theonomen, autoritär staatlichen Diktaturen. Da geht es zwar machtpolitisch heiß zu, aber wenn man sich den Glauben dort näher anschaut, dann ist das eine ziemlich kalte Angelegenheit.

    MATUSSEK: Die ritualisierten Gebete, die religiöse Bürokratie, die kaltblütige Vollstreckung der

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