Das katholische Abenteuer - eine Provokation
überhaupt keinen Grund, warum die Kirche das aufgeben sollte.
MATUSSEK: Der Zölibat wird mittlerweile als regelrechter Affront diskutiert, als ob es sich um einen Anschlag auf die Demokratie handele. Aber vielleicht ist er das ja auch.
SAFRANSKI: Ich sehe, dass die allgemeine sozialdemokratisierte Meinung das als empörend empfindet, dass diese Priester so was Besonderes sein wollen. Es ist empörend in unserer Gesellschaft, seine Freiheit und Unabhängigkeit gegenüber der Sexualität zu behaupten. Es gibt so eine hämische Art, das Hohe niedrig zu machen nach dieser legendären Stern -Schlagzeile, »Runter kommen sie immer«. Also diese Häme gegenüber dem Zölibat, die finde ich besonders widerlich. Schon diese Art der Kritik am Zölibat veranlasst mich, ihn zu verteidigen. Wenn sie da so in diesen Talkshows herumsitzen und darüber lamentieren, welches Leiden diese Priester da erdulden, diese komische Art von Fürsorglichkeit, dahinter steckt doch der übelste Konformismus. Nämlich der Konformismus der Sexualität, das ist doch jetzt unsere Religion. Kurz gesagt, in dem Moment, in dem Sexualität so was wird wie Massensport, tut es einer Gesellschaft gut, wenn es da ein paar Leute gibt, die stolz sagen: Ich verzichte.
MATUSSEK: Sie hatten mal von spirituellen Hochleistungssportlern gesprochen.
SAFRANSKI: Ja, jede Gesellschaft muss sich wünschen, dass es solche Hochleistungssportler der Askese auch gibt, weil dann deutlich wird, dass der Mensch doch eine ganze Menge an Freiheit hat. Er ist halt nicht nur sein Geschlechtsteil, es gibt noch was anderes. Ich bin also beruhigt, wenn es in einer Gesellschaft zölibatäre Strukturen auch gibt. Sollen ja nicht alle sein. Aber wenn es welche tun, ist es toll.
MATUSSEK: Die Buddhisten sitzen in tagelanger Meditation, die Hindus haben ihre Sadhus und Fakire, überall sind da Spezialisten, Fachleute, und sie werden geehrt. Bei uns werden sie mit Hohn und Misstrauen überschüttet von einer völlig verkicherten Gesellschaft.
SAFRANSKI: So ist es.
MATUSSEK: Wie erklären Sie sich den Stimmungsumschwung der Deutschen im Verhältnis zu ihrem Papst? Am Anfang waren alle froh, dass er der lächelnde Papst war und nicht der finstere
Inquisitor, als der er galt. Da waren wir alle Papst, zumal er deutsch war. Mittlerweile hat sich das abgekühlt. Fest steht, dass er ein politisch inkorrekter Papst ist. Er ist in stürmische Gewässer geraten. Wie beurteilen Sie ihn?
SAFRANSKI: Ich sehe ihn ziemlich positiv, nur hat er nicht diese Ausstrahlung wie Johannes Paul II. So was hat man oder hat es nicht. Er ist der Theologe, der in heiliger Loyalität zu seiner Kirche dieses Amt ausführt, er würde lieber drei oder vier theologische Werke schreiben, aber er nimmt dieses schwere Amt auf sich, und er ist dabei jemand, dem man wirklich keine Eitelkeit anmerkt. Der wollte nicht unbedingt diese Karriere machen. Er macht es und versucht, es gut zu machen, so wie er es sieht. Insgesamt eine durch und durch eindrucksvolle Figur. Man fühlt geradezu mit, wie schwer das jetzt ist, er lebt in seiner Theologie und hat manchmal eine geradezu kindliche Weltfremdheit, obwohl er auch wieder alles kennt. Er hat sich ja wirklich nicht gedacht, dass er mit seiner Regensburger Rede da irgendwo reingestochen hat, das ist nicht so ein Ausgefuchster, der ist nicht mit allen Wassern der Diplomatie gewaschen, nein, er hat so was Zartes, Kindliches, auch Unschuldiges.
Eine Sache, die auffällt bei ihm, ist, dass er wirklich sehr genau begreift, was die Kraftquellen dieser Kirche sind. Die liegen nicht in der schnellen Anpassung an die jeweiligen Zeitgeister, die liegen in anderen Bereichen. Die liegen in diesem Elefantengedächtnis der Kirche. Das ist ein Schiff, das seit 2000 Jahren durch die Stürme und Zeiten geschippert ist, und er weiß, dass man auf diesem Schiff bleiben muss und dass man dieses Schiff auch intakt halten muss. Er hat schon auf seine Art Größe. Er nimmt es ernst, wenn er mal sagte, dass auf die Kirche jetzt ganz harte Zeiten zukommen, dass sie ihre alte Mächtigkeit verliert, dass sie schrumpft, und gerade dann ist es wichtig, die Identität zu bewahren, als nur um der schnellen Erfolge wegen sich anzupassen. Der Papst steht für diese Art von Heroismus. Das finde ich nobel, aber auch sehr weise.
MATUSSEK: Interessanterweise kommen ja auch die ganzen Reformvorschläge von Leuten, die selber nie in die Kirche gehen. Paul Feyerabend sagte mal, die sollen doch bitte die
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