Das katholische Abenteuer - eine Provokation
und Wahrheiten zu Tage, die gleichzeitig mystisch und klar sind und damit genau den Zweiton haben, der sein Temperament ausmacht.
Es ist ein warmherzig geschriebenes Buch über Jesus und die Evangelien, doch immer wieder vernehmbar ist die Figur, die die katholische Lehrmeinung ausspricht. Die ersten vier
Kapitel entstanden noch während seiner Amtszeit als Hüter der katholischen Lehre. Die weiteren Kapitel sind dem Papstalltag abgerungen worden. Nun ist ein zweiter Band erschienen, und der beschäftigt sich mit den Essentials des Glaubens, mit den Grundlagen, mit katholischer Orthodoxie: mit Jungfrauengeburt, Tod und Auferstehung. Auch hier wieder der Impuls, der das Pontifikat dieses Professorenpapstes prägte: in einer Zeit schwindender Verbindlichkeiten und zunehmender Glaubensunsicherheit Pflöcke festklopfen, die Bestände sichern. Aber auch Missverständnisse gilt es auszuräumen. Die Juden als Volk sind nicht schuldig am Tod Jesu.
Gerade sein Verhältnis zu den Juden war oft Gegenstand von Debatten, ob es sich nun um seine Rede in Auschwitz handelte, die erst im Nachhinein als große Rede gewürdigt wurde, oder sein Bemühen, die Pius-Bruderschaft und die Traditionalisten zurück in den Mutterschoß der Kirche zu holen. Hier allerdings machte ihm sein eigener Beraterstab zu schaffen, der nicht in der Lage war, einen Background-check des ominösen Bischof Williamson durchzuführen, der sich als kruder Holocaust-Leugner entpuppt hatte.
Doch der Papst, der als lächelnde deutsche Lichtgestalt begonnen hatte, der sich in der Folge durch couragierte, politisch nicht korrekte Auftritte ins Gedächtnis schrieb, der die Annäherung zu den orthodoxen Kirchen, der den Dialog mit den Protestanten suchte, ohne das Trennende zu verschweigen, der den Brückenschlag zu den Wissenschaften und den Philosophen suchte, immer anregend und angeregt, dieser Papst wurde schließlich eingeholt und fast überrollt von der Welle der Missbrauchsskandale, von diesem »Vulkanausbruch an Schmutz«, der ihn Kraft kostete und an die Grenze der physischen und seelischen Belastbarkeit brachte.
Und da setzt er sich hin mit dem Journalisten Peter Seewald in Castelgandolfo, eine Woche lang jeden Vormittag von zehn bis elf Uhr, und zieht Bilanz für das Gesprächsbuch Licht der Welt. Es machte Furore. Es liest sich wie das Logbuch eines
Kapitäns, dessen Schiff in stürmischer See zwar Leck geschlagen ist, der aber die erforderlichen Reparaturarbeiten erfolgreich durchgeführt hat.
Die Regensburger Rede, die Lateinamerika-Reise, die Missverständnisse um die Auschwitzrede, die Pius-Bruderschaft – alles kommt zur Sprache. Von allen Treffern, die das Kirchenschiff während des Pontifikats Benedikts hinnehmen musste, war die überfällige Aufdeckung der Missbrauchsfälle innerhalb der katholischen Kirche wohl der schwerste.
Keiner kam auf die Idee, zu fragen, warum sich die Flut des Missbrauchs erst nach den tektonischen Erschütterungen der 60er Jahre Bahn gebrochen hatte. Zu einem Zeitpunkt also, als das alte strenge Kirchenrecht kaum noch Anwendung fand. Der Papst schließt daraus, wohl nicht zu Unrecht, dass der Übergang der Rechtskirche zu einer »Liebeskirche«, die nicht mehr strafen dürfe, fatal gewesen sei. Nun müsse auch hier wieder Klarheit geschaffen und streng durchgegriffen werden. Zuallererst aber müsse den Opfern geholfen werden. Aber auch das weiß er, wie er dem Journalisten Seewald gestand: »Dass nicht nur der reine Wille zur Wahrheit diese Presseaufklärung geleitet hat, sondern dass es auch eine Freude gab, die Kirche bloßzustellen und möglichst zu diskreditieren, war nicht zu übersehen.«
Der trauernde Hirte
Die Wirkungsgeschichte dieses Gesprächsbuchs ist äußerst vielsagend. Denn die internationale Presse hat sich vor allem auf eine winzige Stelle gestürzt, in der sich der Papst zum Kondom-Gebrauch äußert. Ja, diese einzigartige und welterschütternde Sensation war bereits durchgesickert, bevor das Buch auf den Markt kam. Sie bestand in der Antwort des Papstes auf die Frage, ob man Kondome benutzen darf. Jetzt alle festhalten: Ja. Man darf. Unter Umständen.
Ein Erleichterungsseufzer entrang sich der geknechteten Christenheit, die ja offenbar immer noch wie im Mittelalter unter bindenden päpstlichen Bullen und Bannflüchen lebt. Leitartikler leitartikelten, Menschenrechtsorganisationen schalteten sich ein, Abendnachrichten wurden mit der Meldung eröffnet, Internetforen liefen heiß, und natürlich
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