Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)
so besorgt bist wegen der Kosten. Wenn es dir darum geht, dass ich beruhigt bin.«
Jetzt kam es. Genau wie Leo es vorhergesehen hatte. Ging es bei der ganzen Sache in Wirklichkeit darum?
»Darüber haben wir doch schon gesprochen, Meg.«
»Nein, Leo. Nicht richtig.«
»Wir haben alles Nötige gesagt. Findest du nicht? Ich weiß, wie du darüber denkst, und du weißt, wie ich denke. Und letzten Endes ist es meine Entscheidung. Und ich werde meine Meinung nicht ändern, nur weil du … weil da irgend so ein …« Er machte eine vage Geste in Richtung Wohnzimmer.
» Deine Entscheidung?« Megan schien gegen ihre Empörung anzukämpfen. Sie schloss die Augen und fasste sich mit gespreizten Händen an die Stirn. »Begreifst du denn das nicht? Merkst du denn nicht, wie viel Kraft uns das hier kostet? Dich, mich. Und vor allem Ellie. Und wofür das alles? Für einen boshaften kleinen …« Statt ein Substantiv zu nennen, schüttelte sie den Kopf.
»Boshaft? Woher willst du denn wissen, dass er boshaft ist? Mensch, Meg, du bist ihm doch noch nie begegnet!«
»Will ich auch gar nicht! Alles andere als das! Und wenn das, was er getan hat, nicht boshaft ist, was dann? Wer, wenn nicht er? «
Angewidert sah Leo zu Boden. »Du verstehst das nicht. Du kannst das unmöglich verstehen.«
»Oh, ich verstehe sehr wohl. Auf jeden Fall besser als du.«
»Das heißt?«
»Warum du das machst. Was du dir damit beweisen willst!«
»Mir beweisen? Ich versuche nur zu beweisen, dass dieser Junge – dieses Kind – Hilfe braucht und nicht ein Leben hinter Gittern.« Leo schüttelte den Kopf und vergaß für einen Moment, dass sie gerade mitten in einem Streit waren. »Du müsstest mal Daniels Eltern kennenlernen, Meg. Auf ihre Art sind sie genauso fertig wie er. Ich meine, wenn man sich das so ansieht, ist es kein Wunder, dass …«
»Ist mir scheißegal!« Megan ballte die Hände zu Fäusten. »Und ich wüsste auch nicht, was es dich angeht. Warum dir ein Mörder offenbar wichtiger ist als deine eigene Familie!«
»Das stimmt doch gar nicht! Und außerdem ist er kein …«
Leo bremste sich. Megan starrte ihn an. Sie sagte nichts, aber das war auch nicht nötig.
Leo räusperte sich. »Das stimmt nicht. Du und Ellie, ihr steht an erster Stelle. Und das weißt du auch.«
Megan trat einen Schritt auf ihn zu. »Dann behandle uns bitte auch so, Leo.«
15
D ie Strecke machte eine Kurve, der Zug neigte sich, und unter ihnen schien der Boden wegzubrechen. Links im Fenster ragte eine zerklüftete Felswand auf, rechts toste das Meer. Eine Welle schwappte hoch und leckte nach den Schienen, dann rollte sie zurück in die brodelnde Masse. Das Wasser funkelte in der Wintersonne wie das Grinsen eines Irren. Es wirkte fröhlich, sorglos und ungezwungen in seinem Schwachsinn. Es holte noch einmal aus und peitschte diesmal gegen den Waggon, aber im Inneren spürte man kaum ein Beben. Der Zug fuhr weiter und tauchte, die Stirn voran, mit vollen Lungen in den Tunnel vor ihnen ab.
Die Welt wurde schwarz.
Es war Leos Idee gewesen. Ein Ausflug, ein Tag nur zu dritt. An die Küste. Wie wäre es mit Dawlish? Megan hatte zuerst ablehnend reagiert, misstrauisch, auch wenn sie wahrscheinlich nicht hätte sagen können, warum. Aber Leo war standhaft geblieben und hatte keinen ihrer Einwände gelten lassen. Gut, das Wetter war nicht perfekt, da hatte er ihr zugestimmt, aber wann war es das in diesem Land schon? Die Sonne schien, es war nur etwas windig. Also fahren wir. Einverstanden? Das tut Ellie sicher gut. Das tut uns allen gut. Bitte, Meg. Was meinst du?
Ellie hatte sich noch mehr gesträubt als ihre Mutter. Sie hatte so lange mit ihm diskutiert, dass Leo es beinahe aufgegeben hätte, als Meg sich schließlich mit ihrer ganzen Überzeugungskraft in die Diskussion eingemischt hatte. Zusammen hatten sie sie überredet – hierher geschleppt –, und hier und jetzt bekamen sie alle zusammen die Belohnung. Der erste Teil des Vergnügens: die Zugfahrt.
Und die war spektakulär. Auf diesem letzten Stück der Strecke schlängelte sich die Riviera Line direkt an der Küste entlang. Neben ihnen – direkt unter ihnen, wie es schien – war das Meer, und nur die Tunnel boten hin und wieder Schutz vor den Wellen, die um diese Jahreszeit sehr hoch schlugen.
Selbst Ellie in ihrer zurückgezogenen, ängstlichen Art wirkte fasziniert – beinahe zumindest. Sie saß allein und zur Seite gewandt, und ihr Atem ließ die Scheibe beschlagen. Als sie aus
Weitere Kostenlose Bücher