Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)
aus dem Laden. Er bekam noch halb mit, wie sich Megan hinter ihnen bei der Eisverkäuferin entschuldigte.
Draußen war niemand. Nur der übliche Besucherstrom auf dem Platz und hier und da kleinere Grüppchen bei den Bänken.
Leo ging als Letzter. Megan ging voran und Ellie zwischen ihnen. Die Begeisterung ihrer Tochter für ihr Raspberry-Ripple-Eis schien sich gelegt zu haben, und sie stocherte lustlos in ihrem Hörnchen herum. Auch Leo leckte nur ab und zu an seinem, während sich die Kälte wie eine Ranke um seine Finger schlang.
So viel zum Thema Eisessen.
Es gab noch eine einzige freie Bank, feucht und im Schatten, und Megan steuerte darauf zu. Sie hatten es nicht eilig. Sie würden sich setzen, noch ein wenig in ihrem Eis stochern und einen Moment schweigend und zitternd dasitzen, und dann würde einer von ihnen – Megan wahrscheinlich – vorschlagen, dass sie sich am besten auf den Heimweg machten. Das wäre doch etwas. Besser, als wenn es so weiterging. Besser, sie waren zu Hause, in Sicherheit, wenigstens im Warmen, wo sich jeder in seine Ecke verkriechen konnte und man einander nichts vorzuspielen brauchte.
»He!«
Leo ließ die Hand sinken, und seine Eiskugel fiel aus dem Hörnchen.
»He!«, rief er noch einmal. »Sie da!« Er ging schneller, rempelte im Vorbeigehen seine Tochter an. Sie sagte irgendetwas, aber er drehte sich nicht zu ihr um, sondern verfolgte mit dem Blick den Mann vor sich und marschierte weiter. »Bleiben Sie sofort stehen!«
Leo rechnete damit, dass der Mann weglaufen würde, und für einen Moment schien er das auch in Erwägung zu ziehen. Er drehte sich nach rechts, aber da war der Baum, hinter dem er gerade gestanden hatte. Auf der anderen Seite versperrten ihm Passanten den Weg, die jetzt langsamer gingen, um zu sehen, was hier los war. Aber vor allem kam Leo jetzt näher. Selbst wenn der Mann wegzurennen versuchte, würde er nicht weit kommen. Und so wartete er, in der Hand die Kamera, und trat nervös auf der Stelle.
»Was ist denn los, Leo?« Megan stand von der Bank auf, hielt auf Leos Zeichen hin aber inne.
»Wer sind Sie? Was wollen Sie?«
Der Mann war tatsächlich noch ziemlich jung. Das Haar unter seiner Kappe war kurz geschoren, auf dieselbe Länge wie seine Bartstoppeln. Sein Mantel wirkte zu groß, so als hätte er ihn sich von seinem Vater geliehen. Selbst Leo musste zugeben, dass der Mann eher einem Studenten ähnelte als jemandem, der sie verfolgte.
Trotzdem: »Na? Raus mit der Sprache.«
Der Mann mimte den Unbeteiligten. »Wer?« Er sah sich um. »Ich?«
»Ja, Sie!« Leo trat einen Schritt auf ihn zu. Er stand jetzt anderthalb Armlängen von seinem Ziel entfernt. »Ich hab Sie gesehen! Sie sind uns gefolgt!«
Machen Sie sich doch nicht lächerlich, sagte der Gesichtsausdruck des Mannes. Aber aus seinen Augen sprach Unsicherheit – Schuld –, und er blickte sich noch einmal um, als suchte er einen Fluchtweg. »Warum sollte ich Sie denn verfolgen? Ich bin doch bloß …«
Leo wartete.
Die Schaulustigen – jetzt etwa ein Dutzend – warteten ebenfalls.
»Bloß …« Der Mann lächelte ungläubig und deutete dann auf das Meer, den Platz und den Himmel. Und dann rannte er los.
Irgendjemand schrie auf. Meg? Leo spannte sich an und wäre um ein Haar ebenfalls losgerannt, aber das brauchte er gar nicht. Schon beim zweiten oder dritten Schritt stolperte der Mann über das vorstehende Rad eines Buggys. Plump stürzte er auf den Boden, instinktiv darauf bedacht, seine Kamera zu schützen. Bevor er sich wieder aufrappeln konnte, hatte sich Leo schon vor ihm aufgebaut.
»Was ist auf der Kamera?«
Der Mann versuchte, den Apparat in seinen Mantel zu wickeln. »Nichts. Bilder vom Meer.«
»Geben Sie sie her.« Leo trat auf ihn zu und griff danach. Der Mann kroch auf den Fersen rückwärts.
»Nein!«
»Geben Sie mir die Kamera!« Leo wollte gerade einen Satz nach vorn machen, als er eine Hand auf seinem Arm spürte.
»Leo! Was machst du denn da? Was ist hier los?«
»Ich hab gesagt, geben Sie mir die …« Leo schüttelte seine Frau ab und schnappte nach der Kamera, aber der Mann war schneller. Er drehte sich auf die Seite, stand taumelnd auf und hielt die Kamera hoch.
»Es sind nur Bilder! Ich lösche sie! Nur bitte nicht die Kamera!«
Leo griff danach, und der Mann taumelte nach hinten. Die Kamera war jetzt nicht mehr in Leos Reichweite.
»Was für Bilder? Wer sind Sie? Warum machen Sie Fotos von uns?«
»Keine Ahnung. Die haben mir nur
Weitere Kostenlose Bücher