Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)
dass dieser Tag, ihr Tag, wieder auf die richtige Spur kam.
»Fertig?«, fragte er, als sie herauskamen, jede mit einer Tüte in der Hand. »Ihr habt was gekauft.« Klar. Etwas, das sie ganz sicher nie anziehen würden. Aber: »Prima. Was haltet ihr davon, wenn wir nach einer Eisdiele Ausschau halten?« Wo es etwas weniger belebt ist, fügte er insgeheim hinzu und überlegte unwillkürlich, einen wie großen Teil des Tages ein Tagesausflug wohl in Anspruch nehmen musste.
Leo ging voran, und die beiden trödelten hinterher. Megan schien sich über ihren Einkauf zu freuen, und das war immerhin etwas. Sie redete zwar nicht direkt mit Leo, ließ sich aber von seiner gespielten Begeisterung anstecken. Immerhin erinnerte sie sich offenbar wieder, zu welchem Zweck sie hierher gekommen waren.
»Ellie.« Megan stieß ihre Tochter an und zeigte auf den Strand jenseits des Platzes. Die Wellen schlugen tosend gegen die Kaimauer, brachen dort mit der Kraft eines Rammbocks und schleuderten Wasser in die Luft, das hinter der Mauer laut prasselnd wie ein Feuerwerk auf das Pflaster niederregnete. »Sieh dir das an. Guck mal, die Leute!« Auf der Promenade hatte sich eine kleine Traube gebildet, aber die Menschen hatten sich zu dicht ans Ufer gewagt. Als eine weitere Welle brach, schrien sie, und einige hechteten ins Trockene.
Ellie sah zu, aber ohne sichtbares Vergnügen. »Fährt denn der Zug noch?«, fragte sie. »Kommen wir wieder nach Hause?«
Ellies Frage galt diesmal Leo. Er setzte zu einer Antwort an, wollte sie beruhigen – aber seine Worte fielen in sich zusammen, noch bevor er sie ausgesprochen hatte. Er blickte über den Kopf seiner Tochter hinweg.
Wer war das?
Ein Mann stand ganz allein auf dem Platz und beobachtete sie – er beobachtete sie doch? –, während alle anderen um ihn herum auf die Wellen sahen. Er wirkte recht jung, aber sicher konnte sich Leo aus der Entfernung nicht sein. Er war schmächtig und hatte einen leichten Buckel. Er hielt das Kinn auf Schulterhöhe, so als würde ihm die Kälte in den Mantel kriechen. Er hatte irgendetwas um den Hals hängen – eine Kamera? – und trug eine Baseballkappe. Leo ging auf die Zehenspitzen, um sein Gesicht zu sehen, doch in diesem Moment verschwand der Mann wieder in der Menge. Leo reckte sich, um ihn weiter zu verfolgen, aber eine Hand an seinem Handgelenk zog ihn herum.
»Dad? Wird die Strecke jetzt gesperrt? Was machen wir, wenn wir nicht mehr nach Hause kommen?«
Leo sah seine Tochter an, deren Frage er verstanden hatte, ohne dass ihm im Moment irgendeine Antwort darauf eingefallen wäre. Er schaute noch einmal in Richtung des Mannes, aber der blieb verschwunden.
»Die Strecke wird nicht gesperrt, Liebes.« Megan legte Ellie einen Arm um die Schulter und zog sie zu sich heran. »Und wenn, dann muss uns dein Vater eben ein Taxi spendieren.« Megan nahm ihre Tochter und ging mit ihr die Straße entlang. Leo drehte sich noch ein letztes Mal um und konnte den beiden nur folgen.
»Und Marshmallows. Krieg ich auch Marshmallows?« Ellie sah nach links und nach rechts und erntete auf beiden Seiten Zustimmung. Die Dame hinter dem Tresen garnierte die Eiswaffel und steckte ein Plastiklöffelchen hinein. Dann reichte sie sie Ellie hinüber und erwiderte ihr Lächeln.
»Und für Sie?«
Megan legte die Hand auf die Taille. »Für mich nichts, danke.«
»Und der Herr?«
Leo sah noch einmal durch die Glastür. Ein Mann in einer Windjacke versperrte ihm die Sicht, ging mal nach hier und mal nach da, so dass Leo seinen Bewegungen folgen musste, um eine Lücke zu finden.
»Sir?«
Jemand zupfte ihn am Ärmel. »Leo.«
»Entschuldigung? Was?« Als er sich umdrehte, blickte er in das zornige Gesicht seiner Frau.
»Das hier war deine Idee, Leo. Also, willst du jetzt eins?«
»Entschuldigung. Ja. Nur …« Er zeigte auf einen Behälter mit gelbem Eis. »Nur Vanille. Danke.« Der Mann vor der Tür versperrte ihm immer noch die Sicht.
»Das ist Zabaione, Sir. Hier drüben das ist Vanille.«
»Was? Okay. Egal.«
»Also dann Zabaione? Oder Vanille?«
Geh doch mal weg da! Warum blieb der die ganze Zeit dort stehen?
»Sir? Hinter Ihnen …«
»Leo!«
»Was?«, fragte er und drehte sich schnell wieder um. Die Frau hinter der Theke wartete immer noch. »Zabaione. Ich nehme Zabaione.« Er kramte etwas Kleingeld aus der Hosentasche und warf es auf den Tresen. Die Frau reichte ihm sein Hörnchen, und Leo schob seine Tochter, die ein finsteres Gesicht machte,
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