Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)
in dem es dazu kam?«
Daniel nickte.
»War Felicity bei Bewusstsein? Hat sie es mitbekommen, meine ich?«
Wieder ein Nicken, gefolgt von Kopfschütteln. »Ich hab sie gehauen. Mit einem Stein. Sie war einfach nicht still, nicht mal für eine Sekunde. Deshalb hab ich sie geschlagen.« Daniel starrte in seine offene Handfläche. Er bewegte die Finger, als würde er einen unsichtbaren Gegenstand ertasten, dann ballte er die Hand zur Faust. »Ich wollte nicht, dass sie stirbt.« Durch einen Tränenschleier suchte er Leos Blick. »Echt nicht. Aber dann, als ich gesehen hab, was ich mit ihr gemacht hatte, da bin ich … da hab ich mich umgeguckt und …«
Die Lichterkette. Der Kies. Der Fluss. Und der Fluss war es, der sie das Leben gekostet hat, auch wenn Daniel damals etwas anderes geglaubt hatte.
Leo wandte sich ab.
Er holte Orangensaft und Kekse, stellte das Tablett zwischen sie auf den Boden und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.
»Ich dachte, vielleicht hast du Hunger. Ich weiß, du hast gesagt, du hast keinen, aber du solltest trotzdem versuchen, einen Happen zu essen.«
Daniel sagte nichts. Er saß wieder am Kopfende seines Bettes, bis auf den Hals und das tränenverquollene, blasse Gesicht komplett mit dem Laken bedeckt. Neben ihm auf dem festgeschraubten Nachttisch waren kleine Figuren aufgereiht: hauptsächlich Soldaten mit geschulterten Gewehren oder abwurfbereiten Handgranaten. Eine geschlossene Front blickte zum Fenster, die andere war zur Tür gerichtet. Sie standen Wache, so viel war klar. Wovor sie Daniel schützten, konnte Leo nicht sagen.
Er öffnete die Schachtel Bourbons und bot Daniel einen der Kekse an, aber der Junge lehnte ab. Leo nahm sich selbst einen heraus. Kurz darauf legte er ihn neben sich auf der Armlehne ab.
»Wir haben noch etwas Zeit bis zur Anklageerhebung«, sagte er. »Drei Wochen oder so – aber irgendwann müssen wir uns entscheiden.«
»Ich will hier nicht bleiben. Sagen Sie denen, was Sie wollen, Hauptsache, ich muss nicht mehr hier bleiben. Ich will wieder …«
»… nach Hause?«
Daniel sah ihn kurz an. »Egal wohin. Hauptsache raus hier.«
»Möchtest du aus irgendeinem Grund nicht zurück nach Hause, Daniel?«
»Das hab ich nicht gesagt. Ich hab nicht gesagt, dass ich nicht nach Hause will.«
»Nein, das weiß ich. Aber Karen – du erinnerst dich an sie, oder? –, Karen glaubt, dass es vielleicht irgendeinen Grund gibt, warum du nicht nach Hause möchtest. Warum du vielleicht auch nicht nach Hause solltest.«
Daniels Kiefer spannte sich an. »Was weiß die denn schon?«
Leo wischte die Zuckerkörner von dem Keks von der Armlehne. »Sie ist besorgt, das ist alles. Wir beide sind besorgt.«
Daniel bewegte die Augen, ohne den Kopf zu drehen. Er wusste Bescheid. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wusste er eindeutig, was Leo meinte.
»Zu Hause wäre schon okay«, sagte er.
»Daniel, ich …«
»Ich sag doch, es wäre okay.« Der Junge sah ihn feindselig an, dann sah er zu Boden. »Es ist nicht mehr wie früher.«
Leo nickte. Es entstand eine Stille, und er wusste nicht, wie er sie füllen sollte.
»Hier …«, begann Daniel nach einer Weile. »Hier ist es eigentlich gar nicht so schlecht, oder?«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, es ist fies hier, ich hasse es – aber es gibt noch schlimmere Orte. Stimmt’s? Sie könnten mich auch irgendwohin schicken, wo es noch schlimmer ist.«
Leo sah ihn sprachlos an. Aber er wusste eigentlich gar nicht, warum er überrascht war. »Ja.«
Ein eigenartiges Zucken ging über Daniels Gesicht, so als hätte er irgendetwas in seinem Inneren, das ihm bloß nicht außer Kontrolle geraten durfte. »Sagen Sie denen, was Sie müssen«, sagte er. Er schien noch etwas sagen zu wollen, traute sich dann aber offenbar doch nicht.
»Wenn es zu einer Gerichtsverhandlung kommt«, sagte Leo, »wenn wir auf nicht schuldig plädieren, dann … dann wird das nicht einfach werden. Für dich. Für deine Mutter.« Für Ellie, aber das sagte er nicht. Für mich.
Daniel nickte.
»Es wird schmerzhaft werden, und es wird sich in die Länge ziehen. Du musst dann hier bleiben, wenigstens so lange, bis der Prozess abgeschlossen ist. Und danach … Für danach gibt es keinerlei Garantien.«
Keine Bewegung diesmal. Kein Laut.
»Dein Kronanwalt ist der Meinung, dass du auf schuldig plädieren solltest, Daniel. Er sagt, so hast du am ehesten die Chance auf ein geringeres Strafmaß.«
»Und Sie?« Daniels Stimme brach
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