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Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Titel: Das Kind, das tötet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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nicht mehr genau, was ihre Mutter gesagt hatte.
    »Ellie? Bitte. Erzähl doch mal von vorn.«
    »Ich hab Mum gehört. Am Telefon, durch die Decke durch. Sie hat mit Bernice gesprochen. Es ging um irgendeinen Artikel.«
    Der Artikel. Der Sonderbeitrag in der Gazette. Leo hatte am Morgen ein Exemplar davon gesehen, aber er hatte gedacht, wenn er den Artikel ignorierte, würde Megan vielleicht nie davon erfahren. Doch er hatte seine Rechnung eindeutig ohne Terrys Frau gemacht: die von ihrem Mann mit Sicherheit wusste, dass Leo dem Interview von Anfang an nur zögerlich zugestimmt hatte, und die nachts sicher nicht hatte schlafen können, weil sie sich nach dem Grund fragte. »Aber … Was hat es denn mit dem Weggehen auf sich?«
    »Mum hat Grandma angerufen. Danach. Sie hat auf jeden Fall irgendwas von ausziehen gesagt. Oder … keine Ahnung. Irgend so was jedenfalls. Leiser, deshalb hab ich’s nicht richtig verstanden, aber … Trennt ihr euch?« Ihre Stimme schwankte bei dieser Frage.
    »Was?«
    »Du und Mum. Ich meine, warum sollte sie denn sonst …«
    »Nein! Niemand trennt sich. Ehrlich, Ellie, das verspreche ich dir. Du hast was falsch verstanden. Da bin ich mir sicher. Es ging bestimmt nur um einen Besuch, nehme ich an.«
    »Sie klang wütend. Am Telefon mit Grandma. Sie hat gesagt … Was war das für ein Artikel, Dad? Was hat da dringestanden?«
    »Nichts. Gar nichts. Ich weiß nicht, warum du meinst, deine Mutter könnte wütend gewesen sein.« In Wirklichkeit wusste er es sehr wohl. Er konnte Megan förmlich hören: Erst jagst du die Presse weg, dann grinst du in die Kameras. Da spielte es auch keine Rolle, dass Leo sich alle Mühe gegeben hatte, doch noch irgendwie aus der Nummer herauszukommen. Und auch nicht, dass der Fall Forbes in dem Artikel gar nicht erwähnt wurde. Leo musste sich unweigerlich Vorwürfe gefallen lassen. Aber ihre Mutter anzurufen. Auszuziehen. Die Sache war klar: Ellie hatte da etwas falsch verstanden.
    »Du föhnst dir jetzt besser die Haare«, sagte Leo. »Sonst erkältest du dich noch.« Er wollte seine Tochter aus dem Schlafzimmer lotsen, aber Ellie rührte sich nicht vom Fleck.
    »Ellie? Bitte, ich muss jetzt wirklich …« Leo drehte sich um und sah zu seinem Nachttisch, dann durch die Tür zur Treppe.
    »Das ist unfair«, sagte Ellie.
    Leo wandte sich wieder seiner Tochter zu. Das Rot ihrer Wangen war dunkler geworden, und auf ihren Augen lag jetzt ein unübersehbarer Glanz. »Was ist nicht fair?«
    Ellie wischte sich eine Träne weg. »Einfach alles. Die Schule, Sophie, du, Mum. Alles.«
    »Sophie?«, fragte Leo und wich dem Mum-und-du-Teil bewusst aus. »Was war denn mit Sophie?« Sophie war nicht nur die beste Freundin seiner Tochter, sie war inzwischen wohl auch ihre einzige. Unter dem Umzug in die Wohnsiedlung – dem Wechsel der Schule – hatten offenbar selbst ihre alten Kindergartenfreundschaften gelitten, und an der größeren Schule fiel es ihr nicht leicht, die Lücke zu füllen. »Habt ihr euch gestritten? Sieh mal, Schatz, in deinem Alter ist es ganz normal, dass man mal unterschiedlicher Meinung ist.«
    »Das war nicht bloß eine Meinungsverschiedenheit. Und hör auf, mit mir zu reden wie mit einem kleinen Kind. Ich bin keine fünf mehr, verdammt noch mal!«
    Leo zuckte zurück. »Ellie! Wie redest du denn mit mir? Ich werde nicht dulden, dass du Ausdrücke wie …«
    Ohne den Rest der Standpauke abzuwarten, verdrehte Ellie die Augen und wandte sich ab.
    »Ellie. Warte. Ellie!«
    Sie hielt inne. Sie drehte sich mit dem Oberkörper zu ihrem Vater, sah ihn aber nicht an. Mit ihrem weiten Ärmel wischte sie sich erst über das eine und dann über das andere Auge.
    »Sieh mich mal an, Ellie. Bitte. Es tut mir leid, okay? Du bist kein Kind mehr. Du bist alt genug, um zu wissen, welche Ausdrucksweise angemessen ist. Okay?«
    Aber als sie ihn schließlich ansah, wirkte sie alles andere als erwachsen. Sie schien das Kind zu sein, das er in ihr sah: ängstlich, verwirrt und im Zweifel über sich selbst und die Welt.
    Bis sie Luft holte und dabei förmlich ein Stück zu wachsen schien. »Wenn sich hier jemand wie ein Kind benimmt, dann du. Sachen vor Mum zu verstecken. Sachen vor mir zu verstecken.«
    »Sachen verstecken?« Leo dachte an die Briefe. »Ich hab keine Ahnung, wovon du …« Der Artikel, die Gazette. »Ich hab nichts versteckt. Ich wollte bloß … Ich hab es vergessen zu erwähnen, das ist alles. Ich hielt es nicht für wichtig.«
    Seine Tochter

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