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Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Titel: Das Kind, das tötet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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seiner Tochter hinüber, aber sie ließ sich nicht ablenken. Auf einmal wirkte sie, als würde sie dort auf dem Beifahrersitz versinken: ein Kind, mit der sorgenvoll gerunzelten Stirn einer Erwachsenen.
    »Wie meinst du das denn? Sag es mir, Dad. Ich bin kein kleines Kind mehr.«
    »Sieh mal, Ellie.« Leo seufzte, und in diesem Seufzen steckte seiner Ansicht nach eigentlich alles, was seine Tochter wissen musste.
    »Dad …«
    Leo nahm eine Hand vom Lenkrad. »Das ist eine schlimme Sache. Das ist alles. Es war ein grausiges Verbrechen, und der Prozess wird eine Menge Aufmerksamkeit erregen. Ich will nur, dass du weißt … dass das zu erwarten ist. Dass es nichts ist, worüber man sich Sorgen machen müsste. Es könnte eine Zeitlang unangenehm werden, aber das geht vorbei.«
    Ellie sah ihn an.
    »Wirklich, Ellie, das ist alles.« Leo sah seiner Tochter so lange in die Augen, wie er sich traute, nicht auf die Straße zu schauen. Langsam ließ sich Ellie in ihren Sitz zurücksinken und vertiefte sich wieder in die Betrachtung des vorbeiziehenden Gehwegs.
    Leo überlegte, was er noch sagen könnte, das weder herablassend noch klischeehaft, noch glatt gelogen war. Er machte den Mund auf, aber seine Tochter kam ihm zuvor.
    »War er es?«
    Leo wandte sich halb zu ihr um, dann ganz. »Was?«
    »Ob er es war.«
    »Was? Was war?«
    »Dad.«
    »Ellie, du weißt, ich kann nicht …«
    »Du musst es doch wissen. Du bist sein Anwalt, oder nicht?«
    »Ich bin sein Pflichtverteidiger. Und das bedeutet, es steht überhaupt nicht zur Debatte, ob er es war oder nicht oder ob ich glaube, dass er …«
    Er sah zu ihr. »Jetzt verdreh nicht die Augen, junge Dame.«
    »Hab ich gar nicht.« Sie sprach mit dem Fenster.
    »Hast du wohl. Ich hab es gesehen. Gerade eben.«
    »Du hast mir nicht auf meine Frage geantwortet.«
    »Doch! Ich wollte dir gerade erklären, welche Rolle ein Pflichtverteidiger in einem Fall wie diesem von Berufs wegen einzunehmen verpflichtet …«
    Und wieder.
    »Ellie!«
    »Du antwortest mir immer noch nicht.«
    »Doch, ich wollte dir gerade …«
    »Du klingst wie ein Lehrer. Genau wie Mr. Smithson.«
    Für einen Moment war er verblüfft. »Ellie. Erklärungen können zu einer Zeit, wo eine Erklärung vonnöten ist, eine äußerst sinnvolle …«
    »Du lavierst.«
    Er war baff. Niemals hätte er erwartet, dieses Wort aus dem Mund eines Teenagers zu hören. »Was tue ich?« Er musste unwillkürlich lächeln.
    »Du lavierst. Lach nicht. Das Wort gibt es.«
    »Ich weiß, aber …«
    »Es bedeutet, Scheiß erzählen.«
    »Eleanor!«
    »Was denn? Bedeutet es wirklich. Mum hat es mal benutzt, und ich hab es nachgeschlagen, und im Grunde heißt es, du redest …«
    »Genug jetzt!«
    »… um den heißen Brei herum.« Als Ellies Stimme verklang, war es wieder still.
    Leo stand der Mund offen. Er umklammerte das Lenkrad und schnaubte durch die Nase. Lavieren. Ha. Das musste er sich merken, für heute Nachmittag in der Kanzlei.
    »Was ist denn daran so lustig?«
    »Was? Nichts. Ich habe nur gerade … Nichts. Du sollst nicht solche Ausdrücke benutzen, Ellie.«
    Seine Tochter beobachtete ihn. Sie näherten sich der Abzweigung zu Ellies Schule, und Leo blinkte links. Wie er diesen Teil der Fahrt hasste. In der Zeit, die ihn dieser Umweg kostete, würde er den Vorsprung vor den anderen Pendlern, den er sich auf den letzten drei Meilen so hart erarbeitet hatte, wieder verlieren. Es schien aussichtslos. Genau wie die Arbeit, hatte er oft gedacht. Die Autos sahen alle gleich aus und waren gleich lahm, und mit den Fällen war es dasselbe. Und wenn man eins überholt hatte, kam immer das nächste. Und dann das übernächste und das überübernächste, solange man auf der Straße war. So war es zumindest bisher immer gewesen.
    »Dad?«
    »Hm?«
    »Wenn er es wirklich war … ich meine, klar bist du sein Verteidiger und alles, bla bla bla. Aber wenn er es wirklich war …«
    Leo wollte sie gerade unterbrechen, aber die Bremslichter des Wagens vor ihm lenkten ihn ab. Sie flackerten auf, dann erloschen sie und leuchteten schließlich doch rot auf.
    »… warum verteidigst du ihn dann?«
    Der Fahrer vor ihnen hatte offenbar den Motor abgewürgt. Die Kreuzung war für einen Moment frei gewesen, aber er – sie? – hatte es sich im letzten Moment anders überlegt. Der Fahrer hinter Leo entlud seinen Ärger durch lautes Hupen. Leo sah kurz in den Rückspiegel, dann fuhr er sich mit der flachen Hand über die

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