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Das Kind der Priesterin

Das Kind der Priesterin

Titel: Das Kind der Priesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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waren sie wieder getrübt. Sie nickte.
    Du hast vollkommene Sehkraft, nicht? Meine Hände zuckten vor verhaltener Enttäuschung. Ich wünschte, ich hätte das auch!
    Sie blinzelte. Warum? Willst du ein Krieger werden, so wie in den alten Erzählungen? Ein paar von unserm Volk wollen sich die Köpfe der Neaaner, die hinter den Bergen leben, holen für alles, was sie uns antun. Ich glaube, im Süden haben manche das schon getan. Ihre Augen weiteten sich.
    Der Gedanke an die Neaaner, die Mutterlosen, ließ mich schaudern; wir nannten sie Neaaner, weil sie nicht wie wir an die Mutter Erde glaubten, sondern an Götter, die angeblich vom Himmel herabgekommen waren. Wir sind die Kotaaner, die Kinder der Mutter, und neaa zu sein war zugleich mitleiderregend und fluchbeladen, ob man ein einzelner Junge war oder ein ganzes Volk. Ich will keine Menschen töten. Ich will weit sehen können, damit ich Jäger werden und Kharks töten kann, wie sie meine Eltern getötet haben!
    Oh. Sie berührte mit den Fingern leicht meine Wange, um ihr Mitgefühl zu zeigen. Wann ist das passiert?
    Am Ende des Winters, als sie auf der Jagd waren.
    Sie lehnte sich auf ihre Ellbogen zurück und blickte in den stumpfen, blauen Himmel, wo die Sonne, der Mutter vermählt, von neuem darum kämpfte, Cyclops ihr strahlendes Gewand zu entreißen. Aus dem weiten Grün ihres Antlitzes schielte Cyclops’ rollendes, blutunterlaufenes Auge bösartig auf uns herab. Wahrscheinlich war es eine Untat von Cyclops.
    Etaa seufzte. Ihre Macht ist immer während der Dunklen Mittage am größten, die alte Häßliche! Immer bringt sie Leid mit der Kälte! Doch die Mutter sieht alles …
    Die Mutter hat die Kharks nicht gesehen. Sie hat meine Eltern nicht gerettet. Sie hätte es tun können! Auch Sie bringt uns Leid, die große Hure!
    Etaas Hände bedeckten die Augen und glitten dann langsam hinab. Hywel, das ist Gotteslästerung! Sprich nicht so, oder Sie wird dich bestrafen. Wenn Sie zugelassen hat, daß deine Eltern starben, so müssen sie Sie beleidigt haben. Sie hob den Kopf mit kindischer Selbstgerechtigkeit.
    Meine Eltern haben nichts falsch gemacht! Niemals! ’ Innerlich sah ich beide vor mir, wie sie meistens gewesen waren, voller Zank und Streit … Sie waren zusammengeblieben, weil sie ein Kind zustande gebracht hatten, nachdem sie zwei andere verloren hatten. Sie waren fruchtbar zusammen, und vielleicht hätten sie eines Tages ein viertes Kind bekommen. Aber sie mochten sich nicht besonders, und womöglich war ihr Überdruß ein Vergehen. Ich schlug Etaa hart auf den Arm und sprang auf. Die Mutter ist eine Hure, und du bist ein dummes Gör! Hoffentlich bist du unfruchtbar!
    Sie keuchte und schlug ein Schutzzeichen. Dann stand sie auf und trat mir mit ihren groben Sandalen ans Schienbein. Ihr Gesicht war zornrot, und wieder rannte sie über die Weide davon.
    Als sie weg war, warf ich wütend ein paar Steine nach den Shenns und sah zu, wie sie in blinder Angst immer wieder um das Feld rasten.
    Und so kam es, daß ich das Verschwinden eines meiner Shenns bemerkte, als mein Zorn verraucht war. Fluchend suchte ich herum und fand schließlich das sture alte Muttertier auf der steilen Böschung am Rande der Weide. Es kletterte unbeholfen über die rauhen, schwarzen Steine, verletzte dabei die empfindlichen Füße und riß sich ganze Büschel seidiger Wolle an den Felsen und Dornbüschen aus. Endlich fing ich das Tier mit meinem Hirtenstab wieder ein und schleifte es an seinen Schlappohren zurück, während es mit dem Kopf nach mir stieß und mir mit seinen hervortretenden Krallen auf die bloßen Füße trat. Ich verwünschte es im Geiste, weil ich keine Hand frei hatte; ich fluchte auf meine eigene Dummheit, und am meisten fluchte ich auf die Mutter selbst, weil mein ganzer Jammer von ihr herzurühren schien.
    Zerkratzt und zerschunden hatte ich das Muttershenn endlich den steinigen Hügel hinunter auf die Weide gezerrt; ich versetzte ihm noch einen Schlag mit meinem Stab und sah es beleidigt zurück zur Herde trotten. Ich wollte an den Fluß gehen, um mir den brennenden Körper zu waschen, doch Etaa war mir zuvorgekommen und trank gerade. Ich fürchtete, sie könnte mich für den Narren halten, der ich war, und so warf ich mich lieber im Schatten des Hügels nieder und tat, als ob ich mich ausruhen müßte. Ich konnte nicht erkennen, ob sie überhaupt in meine Richtung blickte, obwohl ich mir die Augen mit den Fingern aufriß und hinschielte.
    Plötzlich jedoch war

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