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Das Kind der Priesterin

Das Kind der Priesterin

Titel: Das Kind der Priesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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sie auf den Beinen und kam, wild die Arme schwenkend, angerannt. Ich richtete mich auf und überlegte, was denn jetzt schon wieder Verrücktes …
    Und dann löste sich über mir ein Teil des Hanges und begrub mich in Finsternis.
    Ich kam spuckend zu mir, mit schwarzem Dreck in Augen, Nase und Mund und sah Etaa wie wahnsinnig Erde und Steine von meinen verschütteten Beinen wegräumen. Obwohl sie, gemessen an anderen Frauen, nicht besonders groß war, hatte sie doch immer genügend Körperkraft, um es mit manchem Mann aufnehmen zu können. Und mein Leben lang erinnerte ich mich an den wilden, brennenden Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie sich umdrehte und mich lebend fand. Sie gab kein Zeichen, sondern grub so lange weiter, bis ich befreit war.
    Sie half mir auf, und erst als ich den Erdrutsch sah, begriff ich vollständig, was geschehen war. Ich fiel auf die Knie, und rieb mir eine Handvoll Erde ins Haar. Ich bat Sie um Vergebung, Ihren Leib preisend. Niemals wieder habe ich der Mutter Weisheit oder Macht bezweifelt! Etaa kniete neben mir und tat es mir gleich.
    Während wir das Abendessen vor meinem Zelt teilten, fragte ich Etaa, woher sie Bescheid gewußt hatte, als sie mich zu warnen versuchte. Hast du gesehen, wie es passierte?
    Sie schüttelte den Kopf. Ich habe es zuerst gefühlt … die Mutter hat mir nur nicht genug Zeit gelassen, um dich zu warnen.
    Weil Sie mich bestraft hat. Wegen der Gedanken, die ich schon den ganzen Tag lang habe, hätte Sie mich töten sollen!
    Aber ich habe dich doch geärgert. Es war meine Schuld. Ich hätte das über deine Eltern nicht sagen sollen, das war schrecklich.
    Ich sah in ihr betrübtes Gesicht, überschattet von grünlichem Zwielicht. Es ist die Wahrheit gewesen. Ich seufzte. Und es war heute nicht das erste Mal, daß ich auf die Mutter geflucht habe. Aber ich werde es niemals wieder tun. Sie hat wohl richtig gehandelt, als sie meine Eltern sterben ließ. Sie haßten das Leben miteinander; wo andere um Kinder beten und keine bekommen können, wußten sie mit dem Segen ihrer Fruchtbarkeit nichts anzufangen.
    Hywel … hast du je daran gedacht, daß sie jetzt vielleicht glücklicher sind? Verlegen senkte sie den Blick. Meine Mutter sagt, man fände Frieden, wenn man in den Mutterleib zurückkehrt. Vielleicht kannte Sie das unglückliche Leben deiner Eltern und ließ sie zu Sich kommen, um neu geboren zu werden.
    Glaubst du wirklich? Ich beugte mich vor und verstand nicht, warum die Worte dieses fremden Mädchens mich so sehr anrührten. Gedankenvoll runzelte sie die Stirn. Ich glaube schon.
    Und ich spürte, wie der andere Schatten, der so lange meinen Geist verdüstert hatte, vorüberglitt, als wäre die Sommersonnenwende endlich für mich angebrochen und ich stände wieder im Licht.
    Etaa wollte die Nacht über bei mir bleiben; ihre Mutter war heilkundig, und sie gab mir zu verstehen, daß ich ‚innere Verletzungen’ haben könnte. Dabei sah sie so gewichtig aus, daß ich lachen mußte. Ich lag noch lange wach und sah auf in die grün schimmernde Nacht über dem ledernen Zeltdach; alles tat mir weh, doch ich hatte Frieden gefunden. Ich konnte die bleiche Laa Merth sehen, der Erde Trauernde Schwester. Geisterhaft entfloh sie in die äußere Dunkelheit in einem nie endenden Versuch, ihrer Mutter zu entrinnen, Cyclops, die sie immer wieder zurückholte. Cyclops hatte ihr grelles Auge von uns abgewendet, und die schimmernden Streifen ihres Gewandes lenkten meine Gedanken ausnahmsweise auf angenehme Dinge wie die gestreiften Melonen, die weiter unten auf dem Dorfacker reiften.
    Ich sah mich nach Etaa um. Die kurzen, dunklen Locken fielen ihr über die Wange, und ihre entblößte Brust unter der Kette aus Glückssamen ließ erst eine sanfte Spur von Rundungen erkennen. Ich ertappte mich bei dem Wunsch, sie möge wie durch Zauberei zur Frau werden, denn ich war gerade alt genug; und plötzlich wünschte ich mir, daß sie dann mich als ihren Mann haben wollte. Dieser Gedanke war mir bis dahin noch bei keiner gekommen. Doch wenn sie eine Frau wäre, würde sie unsere Priesterin sein und könnte sich einen Mann aussuchen, und sie würde bestimmt keinen ohne den zweiten Blick nehmen … Ich erinnerte mich an den Blick, den sie mir zugeworfen hatte, als sie mich aus dem Erdrutsch ausgrub, und bei dem Gedanken, vielleicht doch noch eine Chance zu haben, schoß mir das Blut ins Gesicht.
     
    Während dieses Sommers und der folgenden Jahreszeiten verbrachte ich viel Zeit mit Etaa

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