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Das Kind der Priesterin

Das Kind der Priesterin

Titel: Das Kind der Priesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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für uns, und mir erschien alles wie ein Traum, denn ich hatte es oft genug geträumt.
    Danach lagen wir in der sanften, warmen Nacht beieinander, sahen unser Lächeln in grünen Schimmer getaucht und betrachteten Cyclops, die wie eine große, gestreifte Melone über uns hing. Ich gab ihr die Ohrgehänge, die ich für sie gemacht hatte, silberne Glöckchen in Blütenform, Symbol für die Priesterin der Mutter. Sie empfing sie beinahe mit Ehrfurcht, strich mit den Fingern darüber und signalisierte, daß sie eine schöne Seele hätten. Und ich dachte daran, daß sie morgen, am Sonnenwendtag, unsere Priesterin werden würde, und ich zog sie wieder an mich und überlegte, was dann wohl zwischen uns geschehen würde. Etaa machte ihre Hände frei und fragte, ob sie nun in meinen Augen eine richtige Frau sei. Ich küßte sie auf die Stirn und versicherte: In jeder Beziehung, und ihr Herz klopfte heftig an meiner Brust. Und dann, als hätte sie meine Gedanken gelesen, fragte sie mich stolz, ob ich ihr Mann sein wollte.
    Wir kehrten erst bei Morgengrauen ins Dorf zurück; und die Ernte in diesem Jahr war reich.
    Doch jetzt fällt ein kalter Nieselregen, der Himmel ist vor Kummer grau; ich liege am Fuße der Klippe, und schon den gestrigen Tag kann ich mit meinen verkrüppelten Händen nicht mehr erreichen. Ach, gestern – gestern war wieder Sommersonnenwende, der Tag der Fruchtbarkeit, das größte aller heiligen Feste der Mutter – und ein Tag, der uns Freude hätte bringen sollen, Etaa und mir. Gestern entkam unsere Mutter Erde dem Schatten der neidischen Cyclops und vereinte sich wieder mit ihrem strahlenden Gatten, der Sonne, um erneut Dunkelheit und kahler Nacht Trotz zu bieten. Und gestern hatte die Priesterin unseres Dorfes die Rolle der Mutter in dem Ritual übernommen, und ein Mann des auserwählten Klans war ihr Gemahl, damit für einen sicheren Weg durch die Jahreszeiten der Dunklen Mittage und eine bessere Zukunft für unser Volk gesorgt würde. Weil die Dorfpriesterin die von der Mutter meistgesegnete Frau ist, verbindet sie sich nach altem Brauch an jeder Sommersonnenwende festlich einem Mann von einem anderen Klan in der Hoffnung, gesegnet wie sie ist, ein Kind zu zeugen, das das Blut des väterlichen Klans stärkt.
    In diesem Jahr, wie auch in den vergangenen sieben, war Etaa unsere Priesterin; in diesem Jahr aber hatte mein Klan ihren Gatten ausgewählt, und man hatte mich genommen. Etaas Gesicht spiegelte meine eigene Freude wider, als ich es ihr sagte, denn obwohl ich jetzt Schmied war und auch ihr Mann, wurde diese höchste Ehre gewöhnlich jenem Klanbruder zuteil, der den zweiten Blick hatte.
    Und dann rüttelte Etaa mich in der Morgendämmerung des Sonnenwendtages wach, die Augen voller Liebe. Sie trug nur einen Kittel und hatte schon festliche Girlanden in ihre wilden, dunklen Locken geflochten. Sie duftete nach Sommerblumen.
    Hywel, die Sonnenwende ist da!
    Ich mußte halb lachen, halb gähnen. Ich weiß, du Priesterin! Wie könnte ich es vergessen …
    Hywel, ich habe eine Überraschung. Sie senkte plötzlich den Blick, und ihre Hände zitterten, als sie die Zeichen schlug. Ich sah ihre silbernen Ohrgehänge im Licht aufblitzen. Meine Monatsregel ist ausgeblieben, ich glaube, ich glaube …
    Etaa! Ich berührte ihren Bauch, der noch flach und fest war unter dem dünnen Leinen des Gewandes.
    Ja! Sie lächelte und brach in Lachen aus, als ich sie neben mich in die Hängematte zog. Acht Ehejahre und sieben Sommersonnenwenden waren vergangen, und wir hatten schon gedacht, Etaa sei unfruchtbar wie so viele andere; bis jetzt …
    Ich preßte sie eng an mich in der sanften Umarmung unserer Hängematte, sacht schwangen wir von einer Seite zur anderen.
    Wir sind wahrlich gesegnet, Etaa! Die Mutter hat wohl auf diesen Tag gewartet. Ich küßte sie und zupfte an ihrem Kittel, doch sie stieß mich zurück. Nein, Hywel, heute müssen wir warten! Ich grinste. Du hältst mich wohl für einen alten Mann? Mich, den Vater deines Kindes? Ich will die Mutter heute nicht vernachlässigen, aber meine Frau auch nicht!
    Noch gestern war alles, wie es hätte sein können – die Sonne in ihrer Herrlichkeit blendete den Himmel, die Kornfelder leuchteten … Etaas Gesicht strahlte in der Schlucht der Mutter am Tage, wo sie uns allen Gattin und Mutter sein würde, und ich war ihr Auserwählter!
    Doch an diesem Morgen fragte sie mich, ob ich sie mit uns reiten lassen wollte, wenn ich auf den Markt zu den Neaanern ginge. Wir

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