Das Kind der Priesterin
aufgeben. Bist du denn so unglücklich hier? Kannst du deinem Volk nicht sagen, daß du freiwillig hier bist? Ich werde Frieden mit ihm schließen und auch jede Wiedergutmachung bezahlen … ich brauche dich, Etaa. Ich brauche dich hier bei mir! Ich bin von dir abhängig, ich …
Sie schloß die Augen. Meron, der Mann, der mein Volk führt, der mich zurückverlangt, der Mann, den du ‚Schmied’ nennst, er ist mein Mann.
Dein Gemahl ist tot!
Nein! Sie stampfte mit dem Fuß auf den Boden.
Du hast ihn selbst gesehen, zerschmettert auf den Felsen! Kein Mensch könnte so was überleben. Er war ein Feigling, er hat sich selbst umgebracht, er hat dich im Stich gelassen für mich, und ich will dich nicht gehen lassen. Tief zog ich den Atem ein, um Beherrschung kämpfend. Dein Volk überfällt und schlachtet meines, es nimmt die Köpfe mit! Ihr verdammt unsere Seelen, denn nach unserem Glauben können zerstückelte Geister nicht durch Verbrennen befreit werden. Wenn wir Krieg haben, so haben ihn sich die Kedonnyer selbst zuzuschreiben! Etaa richtete sich steif auf. Wenn du mich nicht freilassen willst, wird er kommen und mich holen!
Ich war verärgert. Wenn er sich von den Toten erheben kann, wird er es vielleicht tun. Ich zweifle aber, daß selbst du etwas Derartiges von der Mutter erwarten kannst.
Sie verschränkte die Arme, ihre Augen brannten. Ich verließ den Raum.
Von da an blieb sie in ihren Gemächern und weigerte sich, mich zu begleiten; der verhärmte Zug von Gram, den sie am Anfang hatte, kehrte in ihr Gesicht zurück. Wenn ich kam, um meinen Sohn zu sehen, saß sie wortlos und den Rücken mir zugekehrt vor dem Feuer. Einmal setzte ich mich neben sie auf die gepolsterte Bank, auf meinen Knien strampelte Alfilere, in seine Pelzdecke gewickelt. Ich klatschte in die Hände und sah, wie er lachte, und als ich ihm meine beringten Finger hinhielt, damit er daran kauen konnte, blickte ich auf, und Etaa lächelte. Ich zog die Finger zurück und signalisierte: Wer könnte sich einen schöneren Sohn wünschen? Ich fürchte aber, er sieht seinem Vater nicht besonders ähnlich mit seinen dunklen Augen … Ich lächelte hoffnungsvoll, doch sie wandte sich nur ab, streifte das silberne Glöckchen am Ohr, und plötzlich erschienen Tränen auf ihren Wangen.
Weil ich zuerst auf Willem wütend war, hatte ich ihm verboten, sie wieder zu besuchen, doch dann hatte ich nachgegeben, denn ich kannte ihre Einsamkeit und Trauer. Nicht lange danach fand ich ihn bei ihr, sein flachsblonder Kopf lag in ihrem Schoß, und seine Schultern zuckten vor Schluchzen. Sie blickte auf, als ich auf beide zutrat, ihre Augen voll mitempfundenen Schmerzes. Willem rührte sich nicht, daher hob sie seinen Kopf von ihrem lavendelfarbenen Rock. Er stand unsicher auf, um sich zu verneigen, dann sank er erschöpft auf die weinroten Kissen neben Etaa und wischte sich das Gesicht an seinem Ärmel ab.
Ich aber stand wie erstarrt an meinem Platz, denn ich hatte die schmalen Spuren von getrocknetem Blut gesehen, die ihm an Kinn und Hals herunterliefen. Und auf einmal ergab sein merkwürdiges und erschreckendes Vorherwissen einen Sinn, und ich begriff die Wahrheit: Mein eigener Page konnte hören, und seine Familie hatte es irgendwie fertigbekommen, es bis heute geheimzuhalten. Bis heute … Mir drehte sich der Magen um. Seine Ohren waren auf Betreiben der Kirche zerstört worden!
Als hätte sie meinen Gedankengang verfolgt, signalisierte Etaa: Das war dein Erzbischof Shappistre. Er hat Willem verfolgt, weil er bei mir war, bis er gemerkt hat, daß Willem die Berührung der Mutter kannte – und sieh, was er getan hat! Er verfolgt alle, die durch Sie gesegnet sind, er hat fast mein Kind getötet, er hat dich fast umgebracht! Seinen eigenen Verwandten! Wie kannst du ihn frei herumlaufen lassen, wenn du König bist, warum ziehst du ihn nicht zur Verantwortung?
Ich fühlte nach der krummen Narbe auf meinem Rücken, ganz versunken in meine eigene, bittere Empörung. Der offene Versuch des Erzbischofs, mich zu vernichten, war gescheitert, nun führte er einen heimtückischeren Krieg, indem er Gerüchte verbreitete, das Vertrauen meiner Freunde untergrub und die quälte, die ich liebte. Zwar hatte ich, auch angesichts der Götter, die Macht, ihn niederzustrecken, doch ich konnte es nicht. Das ist nicht so einfach, Etaa. Hier geht es nicht nur um einen Streit zwischen irgendwelchen Dorfbewohnern, ich kann ihn nicht mit auf den Dorfanger nehmen und ihn
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