Das Kind der Priesterin
Anfall von überwältigender Bestürzung ab. Sie wankte zurück, ihr Kind schützend an sich gedrückt, als ein kalter Windstoß den eintönig rostbraunen, groben Sand zu stechenden Wolken emporwirbelte. Jenseits stieg der nackte, steinige Hang gegen die Ruinen der Menschenstadt an, die wie mit erbitterten Klauen nach den Wolken schnappten. Ich hatte das schon einmal gesehen, aber nicht so, denn nun wußte ich, daß ich nicht weg konnte. Mir brannten die Augen vor Ödnis und der Erinnerung an den stechenden Wind. Es würde schwer werden, die Einheit dieser Welt zu begreifen … es war leicht verständlich, warum die Menschen dabei gescheitert waren.
Ich weiß nicht, was für Gedanken Etaa damals hatte, nur soviel, daß es wahrscheinlich andere waren, als ich erwartete. Doch standen Verwirrung und Verzweiflung auf ihrem Gesicht, als sie die Rampe herunterkam und der Wind an ihrem langen Umhang und den steifen, unvorteilhaften Röcken zerrte. Ihr Kind hatte zu weinen begonnen und jammerte mit dem Wind. Zum ersten Mal war sie Wirklichkeit für mich, rührte meine Gefühle und erregte mein Mitleid. Dies war die geraubte, von einem rücksichtslosen König benutzte Frau, an deren Not ich von Anfang an gefesselt schien, seit ich den Wagen des Königs bei ihrer Gefangennahme lenkte. Sie war nur ein weiteres Opfer des grausamen, sinnlosen Schismas, das die unseligen Menschen spaltete, und jetzt würde sie noch mehr leiden müssen, ohne zu verstehen, warum – der Menschen wegen und unseretwegen.
Ich fühlte, wie ein Unbehagen mein Mitleid ablöste: Hatte ich das Recht? Sie war eine Schachfigur, und sie würde eine bleiben; vielleicht war das ihr Schicksal und somit das meine.
Schließlich verließ ich die Kontrolltafel und raffte mich auf, um ihr die letzte Schreckensnachricht zu überbringen. Ich hatte meine menschliche Maske abgelegt und wußte, daß nach der Anspannung des Fluges meine Gestalt beginnen würde, sich zu verändern. Und kein Mensch hatte je einen unmaskierten ‚Gott’ gesehen, nicht einmal einen, der sich als Wagenlenker ausgab. Die Samtkissen auf dem Boden meidend, stellte ich mich in die Luke.
Meron? Sie drehte sich um und starrte mich mit einem Keuchen an, während ihre Hände die Frage stellten. Ich erinnerte mich, daß sie eine kotaanische Priesterin war und hören konnte; die Vermutung lag nahe, daß der König sie aus Haß auf die Tradition gerade deswegen genommen hatte. In ihren Augen leuchteten Hoffnung und noch etwas anderes auf, als sie sich umdrehte, doch bei meinem Anblick erstarrte sie in Schrecken. Sie wich zurück und versteifte die Finger in einem Zeichen, das Böses abwehren sollte. Dieses Zeichen aber sah einer bei den Gefolgsmännern des Königs gängigen Obszönität dermaßen ähnlich, daß ich beinahe gelacht hätte. Das wäre eine endgültige Grausamkeit gewesen, ich beherrschte mich rechtzeitig und breitete die Hände zu einer Friedensgeste aus. Ich werde dir kein Leid tun, Frau Etaa, hab keine Furcht. Sie schüttelte den Kopf, hielt aber Abstand. Ich fragte mich, wie ich wohl in ihren Augen aussah – die Verhöhnung des Menschen, aus Brotteig oder Lehm gemacht. Ich tauchte zurück in den königlichen, Wagen’, um meine Jacke mit der Kapuze zu holen, weil ich dachte, es wäre gut, möglichst viel von mir zu bedecken. Doch als ich verschwand, hörte ich einen erschreckten Aufschrei und Fußtritte auf der Rampe hinter mir. Sie erschien in der Luke und fiel in einem Staubwirbel auf die Knie mir zu Füßen. Oh, bitte! Verlaß mich hier nicht! Unter ihrem Umhang wimmerte das Kind, aufgestört durch ihre Handzeichen. Ich schaute betroffen auf sie hinab, aber als sie mein Gesicht noch einmal sah, zauderte sie, als ob sie ihren eigenen Untergang erblickte. Sie wandte sich ab und legte ihr strampelndes Kind zärtlich auf ein rotes Samtkissen, dann zwang sie ihre Augen zurück zu mir und signalisierte: Dann hob wenigstens Mitleid mit meinem Kind. Nimm es mit dir, es wird keinen Schaden bringen! Es ist ein Prinz, bring ihn zurück zu seinem … zu seinem Vater, König Meron. Du wirst dafür belohnt werden! Bring ihn irgend jemandem … aber laß ihn am Leben …
Ich bückte mich und nahm das Kind auf; es betrachtete mich fasziniert und fing auf einmal zu lachen an. Unbeschreiblich entzückt, drückte ich es an mich, dann gab ich es langsam seiner Mutter zurück. Die Hoffnung auf ihrem Gesicht verfiel, und sie schauderte, als ich sie berührte. Ich trat einen Schritt zurück. Etaa, du
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